Paris, Februar 2022. In Frankreich wird der Wahlkampf virulenter. Präsidentschaftskandidat Eric Zemmour lässt mit Rassismus und Antisemitismus den Wahlkampf neu eskalieren. Ein Artikel mit jüdischen Stereotypen des «Tages-Anzeigers» über die FDP-Stadtratskandidatin Sonja Rueff-Frenkel führt zur Entschuldigung der Redaktion. Die konspirative Verratstheorie «Jude hat Anne Frank verraten» geht um die Welt. Zeitungen und Verlag entschuldigen sich für die unreflektierte Berichterstattung über ein Buch mit Hunderten von faktischen Fehlern und ohne Beweis (tachles online berichtete, vgl. S. 6 ). Die US-Schauspielerin Whoopi Goldberg entfacht einen Sturm der Entrüstung mit der Äusserung, dass der Holocaust «nichts mit Rasse» zu tun hatte (vgl. S. 9 und 10). In Zürich hält die Debatte um das Kunsthaus und den Umgang mit der Sammlung des Nazi-Kollaborateurs an. Der Report von Amnesty International, in dem Israel als Apartheidstaat deklariert und Südafrikas ethnisch-rassistische Herrschaft von Weissen gegen Schwarze relativiert, Israels politische Agitation antisemitisch positioniert. In Deutschland prüfen nun Gerichte Holocaust-Verharmlosungen der letzten Monate bei Demonstrationen gegen Corona-Massnahmen. In den USA verbietet eine Schule den legendären Holocaust-Comic von Art Spiegelman. Die Debatten über Antisemitismus und Juden der letzten Januar-Tage überall, oft stereotyp, oft plakativ, oft auf Schlagzeilen orientiert, oft geführt von Unwissenden, von Juden-Stigmatisierern unter Beteiligung von nicht jüdischen und jüdischen Funktionären. In «Die Zeit» nennt die Schriftstellerin Eva Menasse die Antisemitismusdebatten hysterische Pein, schreibt von wahrem Antisemitismus, der oft anderswo liegt, von Funktionären, die Probleme nicht lösen, sondern ins Absurde treiben, von Symbolpolitik und wahrer Ausgrenzung. Sie dekonstruiert die Diskussionen, ordnet die Absenderinnen und Absender, aber auch die Adressaten ein. In der Flut von Texten über Juden der letzten Tage ein Lichtblick mit Tiefgang, weil er sich mit Verständnis um Problemstellungen und Wirklichkeiten grundlegend hervorsticht und tiefgründig analysiett. Also. Lesen.
Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.
das jüdische logbuch
04. Feb 2022
Judendebatten und Symbolpolitik
Yves Kugelmann