Vence, Juli 2025. Der Gaza-Krieg ist zurück auf den Frontseiten der internationalen Presse. Am Pressestand in der südfranzösischen Kleinstadt präsentiert sich ein Bild, gegen das Israels Regierung anredet und viele Jüdinnen und Juden als antiisraelische Berichterstattung abtun. Doch ist es damit erledigt? Was, wenn die Kritikerinnen und Kritiker an Israels massivem Vorgehen in Gaza unbequeme Tatsachen präsentieren, aber nicht Antisemitismus, Antizionismus, Antiisraelismus? Was, wenn die israelische Argumentation «Reaktion auf Hamas-Terror» nicht mehr greift? Was, wenn nochmals manifest wird, dass die Vertreibung von Palästinensern aus Gaza und der Westbank ein rechtsextremes Regierungsprogramm längst vor dem 7. Oktober 2023 war? Was, wenn die Aufregung über die Vorwürfe von Kriegsverbrechen, Genozid und systematischen Völkerrechtsverletzungen von Gerichten untermauert werden würde? Was, wenn Satellitenbilder, Zahlen internationaler und israelischer Menschenrechtsorganisationen über Tote, Verletzte, Vertriebene Palästinenser sowie über die humanitäre Situation und Hilfslieferungen plausibilisiert werden können? Was, wenn nicht alle dem unausgesprochenen, aber vorherrschenden Schweige-Diktum und den demagogischen, aber wirksamen Vorwürfen von jüdischem Selbsthass, Nestbeschmutzung und Terrorverharmlosung trotzen? Was, wenn alle, die die Hamas-Massaker, Antisemitismus und ungerechtfertigte Kritik an Israel klar verurteilt haben, diese nicht immer wieder aller Kritik am Gaza-Krieg voranstellen?
In der «Süddeutschen Zeitung» nennt der Völkerrechtler und Journalist Ronen Steinke die Vertreibung der Palästinenser ein «Verbrechen mit Ankündigung», spricht in einem Essay über Euphemismen in der Kriegssprache, warnt davor, Kriegsverbrechen und Zwangsmassnahmen in Gaza sprachlich zu verharmlosen. Er mahnt zu juristisch klarer und sachlicher Berichterstattung und warnt vor der Übernahme von Euphemismen, die das eigentliche Geschehen verschleiern.
Die andauernden Umsiedlungen sind keine Evakuationen, sondern eine Vertreibung, die das Völkerrecht verbietet. Die von Israels Regierung angekündigte «humanitäre Stadt» ist der Anfang neuer palästinensischer Flüchtlingslager, wie es sie in Israel und Libanon seit Jahrzehnten gibt.
Zu viele kämpfen im Moment nur noch gegen Antisemitismus, indem sie Israel-Kritik bekämpfen. Zu viele erschweren den wichtigen Kampf gegen Judenhass, indem sie ihn verpolitisieren. Zu viele verschliessen gerade in der jüdischen Gemeinschaft teils schockiert und paralysiert die Augen vor Israels eskalierendem Vorgehen der letzten Monate. Dass jüdische Kritikerinnen und Kritiker abgekanzelt werden, darf nicht zur Sprachlosigkeit führen, die nur noch den berechtigten Kampf gegen Antisemitismus ermöglicht, nicht aber eine jüdische Tradition der Mitte, in der Worte gefunden werden. Die Selbstaufgabe ist keine Antwort auf die Eskalation einer ohnehin schwierigen Situation durch eine israelische Regierung, die ein rechtsextremes Programm verfolgt, gegen das Jüdinnen und Juden täglich in ihren Ländern ausserhalb Israels kämpfen. Gaza darf nicht zur Strafkolonie für Palästinenser werden.
Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.
das jüdische logbuch
25. Jul 2025
Keine Strafkolonie in Gaza
Yves Kugelmann