das jüdische logbuch 19. Aug 2022

Auf dem Nil zum Vierwaldstättersee

Nidwalden, August 2022. Der Ladestand im Tacho zeigt 65 % an. Der Taxichauffeur ist zufrieden mit seinem Elektrotaxi am Vierwaldstättersee. Er stammt aus einem kleinen Dorf im Nildelta in Ägypten, lebt seit über 20 Jahren in der Schweiz. Studiert hat er Germanistik, arbeitete als Reiseführer während der Anschläge von Luxor und sinniert beim Betrachten der Batterieübersicht im Monitor über Energie- und Geopolitik. Das Erdgasabkommen mit der EU hat Ägypten wieder ins Zentrum der Politik gerückt. Der Taxichauffeur ist Kopte. Die christliche Minderheit wurde noch vor wenigen Jahren in Ägypten massakriert, rund 70 teils jahrhundertealte Kirchen wurden zerstört. Inzwischen ist die Situation für die Kopten besser, aber nicht gut. Präsident Abdel Fatah El-Sisi, habe sich erfolgreich gegen die Muslimbrüder positioniert, das Land vor dem Schlimmsten bewahrt. Auch Husni Mubarak hätte das Richtige gewollt. Ägyptens Desaster hätte mit Gamal Abdel Nasser begonnen. Es war das Ende der liberalen Gesellschaft, der blühenden Städte von Alexandria bis Kairo, der Beginn des Niedergangs, der Kriege, des Verlusts. Sadats Friedensmission konnte dem nichts mehr entgegensetzen und auch die vertriebenen Juden nicht mehr wiederbringen. «Den Friedensvertrag mit Israel haben wir», sagt der Taxichauffeur. «Doch so viel mehr wäre möglich gewesen, wenn die Region zusammengewachsen wäre.» Die Benzinpreise an der Tankstelle interessieren nicht, doch mahnen die gegenwärtigen Konflikte und zugleich Chancen für die Region an. «Die Gaskooperation zwischen Ägypten und Israel ist gut und wichtig. Vielleicht bringt die aufgezwungene Wirtschafs- eine bessere Geopolitik.» Alles war so greifbar – und ist es immer noch. Doch die Zeiten wandeln sich oder die Politik die Zeiten?

Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.

Yves Kugelmann