zur lage in israel 18. Jul 2025

Syrien, Israel und die Eskalation

In Nahost geht es immer schneller als erwartet. Zumindest was die Gewalt angeht. In den letzten Wochen bestand (nicht nur) in Israel und Syrien noch so etwas wie misstrauische Hoffnung auf eine friedlichere Nachbarschaft. Da brachen in der Nacht zum Dienstag wieder Kämpfe in Südsyrien aus. Sunnitische Milizen der dort lebenden Beduinen-Stämme griffen ihre drusischen Nachbarn an. Bis Mittwochabend gab es bereits 300 Tote. An der Grenze zu Syrien, über sieben Jahrzehnte Israels ruhigste, wird wieder geschossen.

Regierungstruppen eilten hinzu, «um Ruhe und Ordnung wiederherzustellen». Im März brachten die Truppen des neuen Regierungschefs und Ex-al-Qaida-Kämpfers Achmad Hussein a-Scharaa Angriffe auf die alevitische Minderheit in Westsyrien schnell unter Kontrolle. Bei den Angriffen auf die drusische Minderheit um die Stadt Suweida war es schwierig zwischen den angreifenden Milizen aus den Nachbardörfern und den Regierungstruppen, die sich ebenfalls aus sunnitischen Milizen zusammensetzen, zu unterscheiden.

Augenzeugen aus der mehrheitlich von Drusen bewohnten Stadt Suweida berichten von Gräueltaten gegen drusische Bewohner, von Zwangsrasuren, von sexueller Gewalt und bis hin zu Hinrichtungen auf offener Strasse: «Wegen der Scharfschützen hatten wir Angst, die Leiche des Nachbarn zu bergen.» Tausende Drusen flüchteten aus der Stadt.

Der Zeitpunkt der Kämpfe lässt einen Verdacht aufkommen. Wollte da jemand die Annäherung an Israel abbremsen? Nur einen Tag zuvor nahm der syrische Vertreter gleichzeitig mit dem israelischen Aussenminister Gideon Saar am EU-Aussenministertreffen in Brüssel teil. Premier Netanyahu sprach in Washington offen von der Möglichkeit einer Normalisierung der Beziehungen mit Syrien und Libanon.

Ganz im Sinne des US-Präsidenten Donald Trump, der im saudischen Riad a-Scharaa traf und danach die Sanktionen gegen Syrien aufhob. In den Vereinigten Arabischen Emiraten traf Zachi Hanegbi, Chef des nationalen Sicherheitsrats in Israel, begleitet von Akademikern und Militärs, eine syrische Delegation. «Es war ein Treffen mit Respekt und Misstrauen», so die Kurzfassung eines Teilnehmers.

Und genau dann folgten die Angriffe gegen die drusische Minderheit. Mit Folgewirkungen, die deutlich absehbar waren. Schon nach früheren Zusammenstössen zwischen Drusen und Sunniten im April reagierte Israel mit Luftangriffen und humanitärer Hilfe für die angegriffenen Drusen. Erst nach mehreren Versuchen kam es zu einer Waffenruhe, deren Dauerhaftigkeit ebenfalls brüchig erscheint. A-Scharaa beschuldigte Israel trotz der bis dahin eher positiven Atmosphäre, die Unruhen provoziert zu haben. Der nur lockere Zusammenhalt seiner sunnitischen Milizen, von denen sich einige schwertun, im «neuen Syrien» a-Scharaas ihren Platz zu finden, wissen einen Bürgerkrieg zu führen. Die Führung eines Staates ist ihnen fremd. Was Aleviten, Christen, Kurden und Drusen, Syriens Minderheiten, in ständigen Alltagsgeplänkeln spüren. Und mit wachsendem Misstrauen beobachten. Mit Blick auf die Kämpfe im Süden Syriens fordert jetzt auch Israels drusische Minderheit lautstark ihr Recht auf Hilfe ein. Im Rahmen ihres «Blutbündnisses» mit Israel. Israels Drusen stehen seit der Staatsgründung 1948 loyal an der Seite Israels. Sie unterliegen der Wehrpflicht. In allen drusischen Ortschaften Israels stehen Gefallenen-Denkmäler. Aus drusischer Sicht ist es jetzt an der israelischen Armee, loyal zu den Drusen zu stehen.

In Syrien leben 700 000 Drusen, im Libanon 250 000 und in Israel 150 000. Minderheiten, aber loyale Bürger ihrer Länder. Bis zum Bürgerkrieg in Syrien sassen Drusen im syrischen Generalstab. Auch in der israelischen Armeeführung finden sich Drusen. Libanesische Drusen kämpften in den Kriegen zwischen beiden Ländern immer wieder gegen israelische. Nachts trafen sie sich manchmal im Niemandsland zu privaten Gesprächen.

Solange ein Staat sich loyal zu den Drusen verhält, stehen die Drusen loyal zum Staat. Sind aber Drusen in einem Staat gefährdet, eilen alle Drusen ihnen zu Hilfe. Wo auch immer. Im syrischen Bürgerkrieg kämpften Drusen für und gegen Assad. Bis die geistlichen Oberhäupter drusische Neutralität verordneten.

Ihr Problem jetzt: Für die Islamisten sind Drusen Abtrünnige. Ihre Religion ging im 11. Jahrhundert aus dem schiitischen Islam hervor, doch werden sie seitdem von Sunniten wie Schiiten verfolgtm weshalb sie sich in abgelegene Berggegenden zurückzogen. A-Scharaa versucht, sie in seinen neuen Staat zu integrieren. Doch fühlen sie sich unter seiner Führung im Vergleich zu alten Zeiten unterrepräsentiert. Auslöser der jetzigen Unruhen war Strassenraub. Beduinen überfielen einen drusischen Händler. Die blitzschnelle Eskalation mit Dutzenden Toten schon nach wenigen Stunden zeigt, dass auf beiden Seiten die Hardliner mit Gewehr bei Fuss bereitstanden.

A-Scharaa fordert in seinem «neuen Syrien » die Entwaffnung der drusischen Milizen, was die Drusen in deutlicher Mehrheit ablehnen. Doch sind die Erwartungen der Drusen an a-Scharaa nicht einheitlich. Zwei der drei geistlichen Oberhäupter setzen weiter auf die Einheitsbemühungen a-Scharaas in einem umgestalteten Syrien. Sie sind sogar bereit, über eine Entwaffnung der Milizen zu verhandeln. Unter gegebenen Umständen. Der dritte Scheych, Chikmat al-Hidschri, äusserte sich in den letzten Tagen oppositioneller: «Alle Staaten müssen sich diesem barbarischen Feldzug widersetzen. Mit allen Mitteln.»

Bei ersten Zusammenstössen im März stand auch er noch zur alten Loyalität. Er begrüsste die Hilfe aus Israel, doch appellierte er an die israelische Regierung, Hilfe so unauffällig wie möglich zu leisten. Auch unter den Drusen in Israel gehen die Meinungen auseinander. So sollen schon drusische Freiwillige aus israelischen Elite-Einheiten bereitstehen. Tausende Drusen durchbrachen am Mittwoch den Grenzzaun zu Syrien und mussten mühsam von den überforderten Grenzpolizisten zurückgedrängt werden. Aber auch in Israel warnen Stimmen vor blinder Eile. Über die Loyalität der Drusen in Syrien sollen letztlich diese selbst entscheiden. Verteidigungsminister Israel Katz, der in seinem Amt alle wirklich wichtigen Entscheidungen dem Premier überlassen muss, versucht sich im neuen Aufgabenbereich zu profilieren. US-Vermittler baten Israel in Absprache mit a-Scharaa, vorläufig keine Luftangriffe durchzuführen. Um einen Waffenstillstand nicht zu verhindern. Doch Katz schlug scharfe Töne an: «Ziehen sich die Regimekräfte nicht zurück, werden wir die Latte für unsere Antworten höher anlegen müssen.» Nicht ohne Grund: Gelingt a-Scharaa nicht die Neuordnung Syriens, stehen islamistische Terroristen am Grenzzaun zu Israel und Erdogans Hegemonie weitet sich bis nach Südsyrien aus.

Letztlich wird auch hier Donald Trump das letzte Wort haben. Doch bis dahin lenken die Unruhen die Aufmerksamkeit der Welt und Israels ab – auch vom innenpolitischen Chaos dieser Regierung. Wichtiger ist derzeit die Frage, ob a-Scharaa doch noch seine alte Islamisten-Sturmmütze mit einer Krawatte austauschen kann, Misstrauen und Respekt sich wieder die Waage halten können.

Norbert Jessen ist Journalist und lebt im Süden Israels.

Norbert Jessen