USA – Medien 17. Jul 2025

«Israel verübt Völkermord in Gaza»

Hungernde Kinder in Gaza - unzählige von ihnen sind bereits an den Folgen von Nahrungsmangel gestorben.

Der Historiker und Genozidforscher veröffentlicht einen ausführlichen Essay. 

Während Waffenstillstands-Verhandlungen zu Gaza weiter stocken und Israel mit Angriffen auf Regierungsgebäude in Damaskus die Interventionen in Syrien vorantreibt, gibt die «New York Times» dem Historiker Omer Bartov Raum für ein ausführliches Online-Essay, das voraussichtlich  in einer kommenden Sonntagsausgabe gedruckt erscheinen wird. Unter dem Titel «Ich bin Genozid-Forscher. Ich erkenne Völkermord, wenn ich das sehe», stellt der Professor an der Brown University in Providence, Rhode Island, fest, dass Israel in Gaza einen Genozid an der palästinensischen Bevölkerung verübt. Er rollt dann seine Haltung zum Vorgehen der IDF auf und unternimmt eine Beweisführung für seinen Befund. Zumindest für grosse US-Medien stellt dies eine neue Dimension von Kritik an Israel dar. 

Bartov erklärt eingangs, er habe einen Monat nach dem Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023 Beweise dafür gesehen, dass das israelische Militär bei seinem Gegenangriff auf Gaza Kriegsverbrechen und möglicherweise Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hatte. Damals habe er jedoch Vorwürfe der schärfsten Kritiker Israels nicht geteilt, welche bereits von einem Völkermord gesprochen hätten. Bis Mai 2024 hätte die IDF etwa eine Million in Rafah schutz suchende Palästinenser angewiesen, sich an den offenen Strand von Mawasi zu begeben. Bis zum August 2024 habe die IDF Rafah weitgehend zerstört.

Nun sei er zu dem Schluss gekommen, dass das Muster der IDF-Operationen den Aussagen der israelischen Führung in den Tagen nach dem Hamas-Angriff entsprach, welche auf Völkermordabsichten hindeuteten. Premier Binyamin Netanyahu hatte angekündigt, der Feind werde einen «hohen Preis» für den Angriff am 7. Oktober zahlen und die IDF werde Operationsgebiete der Hamas im Gazastreifen in Schutt und Asche legen.

Netanyahu hatte an seine Nation appelliert, sich daran zu erinnern, «was Amalek euch angetan hat». Dieses Zitat sei als Anspielung auf eine Bibelstelle verstanden worden, wo die Israeliten aufgefordert werden, «Männer und Frauen, Säuglinge und Kleinkinder» ihrer Feinde zu töten. Regierungs- und Militärvertreter hätten erklärt, sie würden gegen «menschliche Tiere» kämpfen und forderten deren «totale Vernichtung». Bartov zitiert den stellvertretenden Parlamentssprecher Nissim Vaturi mit einem X-Post, wonach Israel «den Gazastreifen vom Erdboden zu tilgen» habe. 

Bartov ist daher überzeugt, dass Israel den Gazastreifen für die palästinensische Bevölkerung unbewohnbar machen und damit die Einwohner zum Verlassen ihrer Heimat zwingen wolle. Dazu dienten «Bombenangriffe und ein massiver Mangel an Nahrungsmitteln, sauberem Wasser, sanitären Einrichtungen und medizinischer Versorgung… sodass es den Palästinensern im Gazastreifen unmöglich ist, ihre Existenz als Gruppe aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen.» Damit sieht der Holocaust-Historiker die Schlussfolgerung als «unausweichlich: Israel begeht einen Völkermord am palästinensischen Volk.»

Er verweist dann auf sein zionistisches Elternhaus. Er habe die erste Hälfte seines Lebens in Israel verbracht, als Soldat und Offizier in der israelischen Armee gedient und den Grossteil seiner Karriere mit der Recherche und Veröffentlichung von Beiträgen zu Kriegsverbrechen und dem Holocaust verbracht. Deshalb sei dies «eine schmerzhafte Schlussfolgerung, der ich mich so lange wie möglich widersetzt habe. Aber ich gebe seit einem Vierteljahrhundert Vorlesungen über Völkermord. Ich erkenne das, wenn ich ihn sehe.»

Schliesslich verweist Bartov in seiner Einleitung auf «immer mehr Experten für Völkermordforschung und Völkerrecht, die zu dem Schluss kommen, dass Israels Vorgehen in Gaza nur als Völkermord definiert werden kann» und nennt Francesca Albanese, Amnesty International und die Völkermord-Klage Südafrikas vor dem Internationalen Gerichtshof gegen Israel: «Die anhaltende Leugnung dieser Kategorisierung durch Staaten, internationale Organisationen sowie juristische und wissenschaftliche Experten wird nicht nur den Menschen in Gaza und Israel, sondern auch dem Völkerrechtssystem, das nach den Schrecken des Holocaust geschaffen wurde und solche Gräueltaten für immer verhindern soll, enormen Schaden zufügen.» Dies bedrohe «die Grundlagen der moralischen Ordnung, auf die wir alle angewiesen sind» (Link).
 

Andreas Mink