standpunkt 21. Nov 2025

Bührles lassen waschen

Die Berufsbezeichnung liest sich zu schön, um nicht zu sein, was sie signalisiert: Weisswäscher. Der Ort dieses Gewerbes, das alle zu kennen scheinen und doch niemand bezeichnen kann, könnte eine Weisswäscherei genannt werden. Im Sinne einer angestammten Berufsbezeichnung lassen sich jedoch keine Hinweise auf ein ehrenhaftes Metier finden oder herleiten, obwohl wir im Gefühl leben, ihnen schon begegnet zu sein oder gar welche näher zu kennen. Jedenfalls ist uns die Spezies nicht fremd und der Beruf durchaus geläufig, auch wenn entsprechende Ausbildungen oder Lehrgänge nicht zu finden sind – zumindest nicht unter diesem Begriff. Ein suchender Blick zurück führt uns zu Bertold Brecht und seinem 1969 in Zürich uraufgeführten Theaterstück «Turandot oder der Kongress der Weisswäscher». Brechts beredte Weisswäscher verkaufen auf Geheiss des Kaisers, Vater von Turandot, dessen Reich sich in grosser finanzieller Misere befindet, in den Teestuben und auf den Marktplätzen des Reichs Meinungen und Ausreden hierfür. Die Mächtigen brauchen die eloquenten Meinungswäscher als Mittler mit dem Volk. Eigenständiges Denken scheint im Reich des Kaisers und seiner Manipulatoren ausgestorben. Letztendlich wird ihnen der Kopf abgeschlagen. Keiner hatte gut genug gelogen, um vor der Bevölkerung zu bestehen. Soweit die Theatermoral.

Den geschickten Weisswäschern der Jetztzeit droht dieses Schicksal kaum. Agieren sie doch in den Grauzonen der Desinformation, der Fake News und des Scams. Arbeitsbedingungen und Lichtverhältnisse, von denen die Flüsterer des Kaisers nicht zu träumen wagten. Wie leicht es heute erfahrenen Spin Doktoren, also Beratern, die laut KI-Definition «Parteien helfen, ihre Policies und Aktionen positiv darzustellen», fällt, Personengruppen und auch Individuen zu desavouieren oder gar zu diffamieren, erfahren wir seit Kurzem durch die gezielten Angriffe auf die Integrität und Kompetenz des «jüdischen Historikers» Raphael Gross (SonntagsBlick). Seine im Juni 2024 veröffentlichte Überprüfung der Provenienzforschung der Stiftung Sammlung E. G. Bührle belegte, dass 132 der insgesamt 203 Werke aus jüdischem Vorbesitz stammen sollen. Ein Faktum, das umso schwerer wiegt, als dass in den vorangehenden Untersuchungen der Sammlung Bührle zur Provenienz ihres Bestands das Wort «jüdisch» nicht vorkommt.

Dass dies nicht länger haltbar ist, ahnt auch die Stiftung. Zu viel ist seither ans Licht gekommen. Deshalb soll nun ein Umkehrschub her, der die investigativen Provenienzforschenden als Nestbeschmutzer schweizerischer Werte brandmarken soll, denn in deren anhaltendem «Bührle-Bashing» würden sie verdrängen, so die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) «dass der Waffenproduzent und Kunstsammler Teil der Zürcher Geschichte während des Zweiten Weltkriegs ist». «Historische Aufarbeitung», schreibt Daniel Binswanger in Republik, «wird plötzlich als Zumutung behandelt. Die Bührle-Stiftung, deren Liederlichkeit den ganzen Skandal verursacht hat, ist plötzlich in der Opferrolle. Und in der Schweizer Berichterstattung sind auch antisemitische Untertöne plötzlich kein Problem mehr.»

Offensichtlich gibt dies die Gefühlslage der Nation her. Clichés werden reaktiviert, Assoziationen bedient und Vorurteile geschürt. Der «jüdische Historiker» mag dafür ein Beispiel von mehreren sein. Solches wird von hochbezahlten Weisswäschern orchestriert. Bei der Bührle-Stiftung habe, ist in Republik zu lesen, «ein Kommunikationsprofi das Heft in die Hand genommen, der vor den harten Bandagen nicht zurückschreckt. Und dem das neue Klima einer antisemitischen Geschichtsvergessenheit perfekt in die Hände spielt.» Die Theatermoral der Brecht’schen Weisswäscher, die einst im Zürcher Schauspielhaus zu Opfern ihrer Lügengespinste wurden, ist längst passé. Gewaschen wird weiterhin.

Gabriel Heim ist Journalist, Autor und Regisseur und lebt in Basel.

Gabriel Heim