zürich 14. Nov 2025

Toxische Sammlung, sture Inhaber

Der Waffenhändler Emil Bührle, NS-Kollaborateur und Verantwortlich für Zwangsarbeiter – macht es Sinn, wenn die Bührle Stiftung Sammler und Sammlung in einen Opferkontext stellen?

Zürich steckt im endlosen Streit um die Bührle-Sammlung voller Meisterwerke fragwürdiger Herkunft und eine Stiftung, die sich in einer verkehrten Opferrolle verschanzt.

Die Stadt Zürich quält sich durch einen bösen Traum, der kein Ende nehmen will. Er führt einen Namen: Bührle. Es geht um den Streit über die Ansammlung von Gemälden, 205 an der Zahl, die von der Besitzerfamilie an eine Stiftung übergeben wurden. Es sind beileibe keine mittelmässigen Öl-Schinken, sondern erlesene, erstklassige Meisterwerke der klassischen Moderne. Das muss man dem deutschen Waffenfabrikkanten Emil Bührle lassen – er wusste genau, oder liess sich fachmännisch beraten, was die feinste Malerei der Zeit war. Als die Sammlung vor vielen Jahren in der nationalen Kunstgalerie in Washington D.C. zu Gast war, trug sie den Namen «Passionate Eye». Dieser Name, wer auch immer ihn erfunden hatte, passte genau auf den Sammler. Nur sammelte er offenbar am falschen Ort, beispielsweise im Sumpf der verqueren nationalsozialistischen Sicht darauf, was Kunst war und was nicht. Das Schweizerische Bundesgericht enteignete den Sammler nach Ende des Zweiten Weltkriegs von einigen Meisterwerken, die von den auf wunderbare Weise überlebenden Erben zurückerlangt worden waren. Einige davon kaufte er von diesen zurück. Diese Sammlung befand sich nun in einer privaten Villa der Familie Bührle in Zürich. Aber die Stiftung, der die Gemälde nunmehr anvertraut waren, arbeitete daran, ihren Schatz indas von der Stadt Zürich subventionierte und der elitären Kunstgesellschaft gehörende Kunsthaus zu integrieren.

Verschwundenes Rückgrat
Der aus Deutschland stammende und höchst erfolgreiche Waffenhersteller Emil Bührle hatte bereits einen Anbau des Kunsthauses finanziert. In der hochtrabenden Kunstgesellschaft war er mit offenen Armen empfangen worden. Diese Beziehung und auch andere sind unseres Wissens nie richtig aufgearbeitet worden. Wie kam es dazu, dass ein mehr oder weniger hergelaufener deutscher Waffenhersteller in diese Elite Aufnahme fand? Genügten im damaligen und vielleicht auch im heutigen Zürich einige Millionen als Eintrittsbillet? Natürlich zeichneten sich etliche weitere Mitglieder auch durch grosszügige Geschenke in Form von Gemälden an das Kunsthaus besonders aus (auf www.tachles.ch findet sich ein Dossier zur Bührle-Debatte).

Es ist eigenartig, dass die Zürcher Stadtpräsidentin und der zuständige kantonale Regierungsrat mit je einem Sitz im Vorstand der Kunstgesellschaft und damit im Besitzergremium des Kunsthauses sind. Juristisch wird dies als No-Go betrachtet, hat aber offenbar noch niemanden ernsthaft gestört. Als der Stiftung der Sammlung Bührle ein ganzer Stock im luxuriösen Erweiterungsneubau des Kunsthauses zugesprochen wurde, wunderten sich die Zuständigen über die scharfe Kritik, die rund um diesen Einzug ausbrach. Sie war aber gar nicht neu. Ältere Zürcherinnen und Zürcher innerhalb und ausserhalb der jüdischen Gemeinschaft erinnern sich daran, dass es schon nach dem Krieg hiess, Bührle habe seine Gemälde aus Naziquellen zusammengekauft. In Erinnerung ist auch, dass die Stadt Zürich einst Rückgrat und Charakter zeigte, als die Erben des anrüchigen deutschen Geschäftsmannes Flick dessen ebenfalls reichhaltige Gemäldesammlung anboten. Obwohl sie offeriert hatten, aus eigener Tasche ein geeignetes Gebäude dafür errichten zu lassen, lehnte die Bevölkerung dieses Ansinnen ab. Die Sammlung Flick fand Zuflucht in Deutschland.

Aufarbeitung mit Hindernissen
Der Albtraum entwickelte sich zu seltsamen Verästelungen. Positiv war einzig die Schaffung eines runden Tisches mit dem Auftrag, Licht ins Dunkel zu bringen. Der einstimmige Vorschlag lautete am Ende, den aus Zürich stammenden, aber höchst erfolgreich in Deutschland amtierenden Professor Raphael Gross mit der Abklärung der Provenienz der Kunstwerke zu mandatieren. Diese Arbeit gestaltete sich notgedrungen als sehr komplex. Denn es galt im Grunde, die angebliche Provenienzforschung des bereits pensionierten ehemaligen Direktors der Sammlung zu kontrollieren. Er hatte schon lange vorher behauptet, kein Gemälde der Sammlung Bührle habe jüdische Vorbesitzer. Diese Behauptung konnte tachles anhand der Nachforschung der IG Transparenz widerlegen.

Raphael Gross und sein Team ausgewiesener Sachverständiger fällten ein vernichtendes Urteil. Mehr als die Hälfte der 205 Gemälde waren zuvor in jüdischem Besitz. Dabei hatte das Team Gross niemals das Privatarchiv der Familie Bührle einsehen dürfen. Es war durch die verstorbene Tochter Hortense Anda–Bührle mit einer Lüge der Bertsch-Kommission mit ihrem ungehinderten Zugang zu sämtlichen angeforderten Archiven verborgen worden. Erst als diese Kommission samt ihrem Archivprivileg aufgelöst war, fand sich das Bührle-Archiv wie durch ein Wunder ganz per Zufall wieder.

Ein fragwürdiges Erbe verlässt Zürich
Nun hat sich der Wind ein Stück weit gedreht. Die Stiftung Sammlung Bührle erzählt nach wie vor eine verkehrte Opfer–Litanei. Aber sie ist aggressiv zum Angriff übergegangen. Ohne Bekanntgabe liess sie im Handelsregister den Stiftungszweck abändern. Künftig, nach Ablauf des Leihvertrages, ist sie nicht mehr verpflichtet, die Sammlung in der Stadt Zürich zugänglich zu machen.

Wer dies bedauert, ist selber zu bedauern. Ist es doch wahrlich kein Argument, darauf hinzuweisen, dass die noch ausgestellten Ge-mälde der Sammlung Bührle von sehr zahlreichen Besuchern des Chipperfield–Neubaus besucht werden. Geschieht auf der Autobahn ein schwerer Unfall, so halten überaus zahlreiche Autos an, um zu fotografieren und ihre Lust am Schwierigen zu befriedigen. Bei einem Flugzeugabsturz gibt es zahlreiche Leute, die ein Stück Metall aufheben, das später bei der Rekonstruktion des Absturzes fehlt, um es nach Hause zu tragen. Ähnlich dürfte es sich bei den vielen Besuchern der Sammlung Bührle handeln. Sicher gibt es viele echte Liebhaber grossartiger und einzigartiger Gemälde, die sie live betrachten wollen. Aber nicht wenige werden angezogen vom modernden Geruch, der diese Sammlung umgibt. Kein Wunder, dass Lukas Gloor, der bereits genannte ehemalige Direktor der Sammlung und Verfasser der fragwürdigen Provenienzabklärung der ihm anvertrauten Kunstwerke, heftig und verbal auf Professor Gross und seine Erkenntnisse losgeht. Ein weiteres Beispiel für die verkehrte Opfer–Litanei.

Das Ende des Albtraums
Möglicherweise verhandelt der Stiftungsrat bereits mit ausländischen Kunsthäusern über eine mögliche Dauerleihgabe der Sammlung. Reisende soll man nicht aufhalten. Aufstrebende Golfstaaten, wie beispielsweise Dubai, schmücken sich gerne mit westeuropäischen Kunstwerken und Filialen renommierter Kunsthäuser. Die Stadt Zürich, die drei Millionen Franken an eine weitere Provenienzforschung der kontaminierten Sammlung Bührle sprechen will, muss dies vielleicht nicht mehr tun. Die Stadt wird aus dem bösen Traum endlich wachen und feststellen: Es war kein Traum. Es ist die bittere Realität.

Gisela Blau