zürich 21. Nov 2025

«Die antisemitische Präposition ist nur schwer wegzureden»

Statt Provenienzforschung zu unterstützen nimmt die Bührle Stiftung Historiker und Gutachter Raphael Gross ins Visier.

Der Streit um die Sammlung Bührle eskaliert weiter – die Stadt Zürich reicht Beschwerde gegen die Stiftung ein, und die Debatte um Gutachter Raphael Gross nimmt antisemitische Züge an.

Die Debatte über die Sammlung Bührle reisst nicht ab – im Gegenteil (vgl. tachles 46/25). Nachdem eine Urkundenänderung der Stiftung «Sammlung E. G. Bührle» genehmigt wurde, reicht die Stadt Zürich nun Beschwerde ein und fordert eine rechtliche Überprüfung. Darüber informierte sie am Mittwoch. Hintergrund: Im geänderten Stiftungszweck findet die Stadt Zürich plötzlich keine Erwähnung mehr, was bedeutet, dass die Stiftung ihre Sammlung Ende 2034 theoretisch aus der Stadt abziehen könnte. Denn dann läuft der Leihvertrag aus. Die Stadt betont in der Medienmitteilung, dass sie sich als sogenannte «Destinatärin» der Stiftung sehe, zumal sie im Zusammenhang mit der Dauerleihgabe der Werke der Stiftung im Chipperfield-Bau des Kunsthaus Zürich erhebliche Investitionen getätigt habe. Die Stiftung reagiert prompt am selben Tag und betont, sie bedauere den Entscheid der Stadt Zürich, gerichtlich gegen den Entscheid der Stiftungsaufsicht vorzugehen. Es heisst: «Die Bührle-Stiftung erachtet das Vorgehen der Stadt als unbegründet und wenig konstruktiv.»

Hitorisch belastet
Der Kluft zwischen allen Beteiligten scheint eher grösser zu werden, eine Einigung ist nicht in Sicht. Knackpunkt ist nach wie vor die nicht ausreichend vollzogene Provenienzforschung der 205 historisch belasteten Gemälde durch die Stiftung. Im Jahr 2024 hatte der Schweizer Historiker Raphael Gross in einem unabhängigen Forschungsbericht die Herkunft der Kunstwerke der Sammlung Bührle untersucht. Er kam zum Schluss, dass die Herkunftsforschung der Stiftung lückenhaft war und deutlich mehr Bilder eine problematische Herkunftsgeschichte aufweisen als angenommen. Der Bericht zeigt auf, dass eine weitere Provenienzforschung nötig ist. Markus Knauss von der IG Transparenz bedauert, dass die Stiftung Bührle bisher nur an der internen Provenienzforschung festgehalten hat. Er sagt: «Eine unabhängige Überprüfung hat sie nicht aktiv gefördert, ganz offenbar, weil sie nicht das Risiko eingehen wollte, dass sich weitere Kunstwerke als belastet hätten herausstellen können.» Er versteht dabei die Strategie der Stiftung nicht: «Die Familie Bührle hätte ein Interesse daran haben müssen, die Herkunft der Bilder zu klären», sagt er. Nur so hätten die Diskussionen um die Sammlung endlich ein Ende finden können.

Aktuell berät die zuständige Kommission des Gemeinderats darüber, ob die Stadt drei Millionen für die weitere Provenienzforschung und Kontextualisierung der Sammlung Bührle im Kunsthaus zu zahlen bereit ist. Lukas Wigger, Leiter Kommunikation im Präsidialdepartement der Stadt Zürich, sagt: «Diese Massnahmen der Zürcher Kunstgesellschaft, die gestützt auf die Erkenntnisse des Berichts von Raphael Gross erfolgen, erachtet die Stadt unverändert als wichtig.» Die Gesamtkosten liegen bei rund 5,2 Millionen Franken, davon fallen laut Wigger rund 2,3 Millionen Franken auf die Vertiefung der Provenienzforschung an. «Die Umsetzung soll aus ethischen Gründen und wegen der hohen gesellschaftlichen Relevanz rasch erfolgen. Die Massnahmen stärken die Glaubwürdigkeit des Kunsthauses im verantwortungsvollen Umgang mit der Präsentation der Werke», sagt er. Gemäss Subventionsvertrag stelle das Kunsthaus keine Werke aus, bei denen substantiierte Hinweise auf NS-verfolgungsbedingten Entzug bestehen. «Die vertiefte Forschung soll als Grundlage für die entsprechende Beurteilung von Werken dienen – und in allfälligen Fällen helfen, faire und gerechte Lösungen zu finden», so Wigger. Offen ist die Frage, was passiert, wenn die Stadt Zürich drei Millionen investiert, die Sammlung später aber aus Zürich abzieht?

Klare Haltung
FDP-Gemeinderat Jehuda Spielman sagt: «Für mich ist klar, dass die Stadt sich nicht finanziell an der Provenienzforschung beteiligen sollte, wenn die Sammlung nicht im Kunsthaus bleibt. Die Bührle-Stiftung verfügt über genügend Mittel, um diese Forschung selbst zu finanzieren, falls sie das tatsächlich will. Zudem hat die öffentliche Hand bereits erheblich in den Kunsthaus-Neubau investiert, der zu einem guten Teil für die Präsentation der Sammlung geschaffen wurde. Weitere Gelder müssten deshalb sehr gut begründet sein.» Der Knackpunkt sei allerdings, dass die Stiftung offenkundig wenig Interesse an einer erneuten vertieften Forschung hat. Wie die Stadt im Gegenzug für eine finanzielle Beteiligung eine verbindliche Zusage für einen langfristigen Verbleib in Zürich erhalten soll, ist schlicht nicht ersichtlich. Spielman sagt: «Realistisch betrachtet wirkt die aktuelle Diskussion eher als zusätzlicher Anstoss für die Stiftung, ihre Werke aus Zürich abzuziehen, nicht als Anreiz, hier zu bleiben.»

Bedingungen für Geld
Auch GLP-Gemeinderat Ronny Siev ist der Meinung, es wäre von Anfang an Aufgabe der Bührle-Stiftung gewesen, ihre Sammlung eingehend prüfen zu lassen. «Das ist nicht die Aufgabe der Stadt Zürich.» Siev regt daher an, eine etwaige Zahlung seitens der Stadt an die Bedingung zu knüpfen, dass die Sammlung dauerhaft im Kunsthaus bleibt. Die Sammlung E.G. Bührle und das Kunsthaus sollten alle Daten zu ihren Kunstwerken vollständig freigeben. Dadurch könnten externe Wissenschaftler die Provenienzforschung vornehmen und so endlich vollständige Transparenz schaffen. Siev unterstützt das Vorgehen des Stadtrats, nun Beschwerde einzureichen.

Und was ist, wenn die Stadt Zürich sich finanziell nicht beteiligt? Das Kunsthaus könne die budgetierten Kosten nicht vollumfänglich selbst tragen, sagt Priska Amstutz, Leiterin Kommunikation des Kunsthauses: «Die Provenienzforschung ist eine gemeinsame Verantwortung aller Partner und müsste bei veränderten Rahmenbedingungen neu evaluiert werden.» Die Provenienzforschung sei ressourcenintensiv und im erforderlichen Tempo ohne zusätzliche finanzielle Mittel nicht realisierbar. «Sollte die Stadt sich nicht beteiligen, müssten die Partner das Vorgehen und die Planung neu beurteilen», so Amstutz.

Zürich muss zahlen
Neben der Debatte um die Kosten für die längst überfällige Provenienzforschung der Sammlung Bührle sorgt ein weiteres Thema für Kontroversen. So stellt sich die Sammlung Bührle immer wieder in der Öffentlichkeit als Opfer dar und verdreht damit die Tatsachen. Markus Knauss spricht von einer «verkehrten Welt», da sich die Bührle-Stiftung nun als Opfer ausgibt und Raphael Gross für seine gründliche Arbeit kritisiert wird. «Das ist absurd», sagt der Grünen-Gemeinderat der Stadt Zürich. Aus seiner Sicht macht es aber nach wie vor Sinn, dass die Stadt Zürich drei Millionen aufwendet, um die Provenienzforschung voranzutreiben. Auch wenn er sich eine Forschung gewünscht hätte, die wirklich unabhängig ist und nicht durch das Kunsthaus vorgenommen wird.

Der Rechtsprofessor Felix Uhlmann hat den runden Tisch zur Bührle-Stiftung geleitet und war als gemeinsamer Delegierter von Stadt, Kanton und Kunstgesellschaft der offizielle Auftraggeber für den Bericht von Raphael Gross. Er sagt heute: «Der Bericht von Raphael Gross war wohltuend sachlich. Der Runde Tisch stand einstimmig hinter der Wahl des Experten und der Einschätzung, dass Raphael Gross den ihn erteilten Auftrag erfüllt hat.» Für Angriffe auf die Person von Raphael Gross hat Felix Uhlmann kein Verständnis.

Antisemitismus ?
In der letzten Woche kam zudem die Frage danach auf, ob die Angriffe auf Raphael Gross und seine Arbeit antisemitisch motiviert sind. Auf Nachfrage sagt der Generalsekretär des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds (SIG) Jonathan Kreutner: «In einem Medienartikel von Anfang November wurde Raphael Gross als ‹jüdischer Historiker’ bezeichnet. Im Kontext der Debatte um die Bührle-Stiftung und seiner fachlichen Rolle als Evaluator bietet dieser Zusatz aus unserer Sicht keinen erkennbaren informativen Mehrwert. Einen antisemitischen Hintergrund sehen wir nicht.» Grundsätzlich rate der SIG Medienschaffenden immer wieder dazu, sorgfältig zu prüfen, ob das Adjektiv ‹jüdisch› in der Beschreibung einer Person tatsächlich relevant sei. «Es kann sonst, unbeabsichtigt oder nicht, eine Lesart oder Interpretation der Geschichte nahelegen, die nicht zur Sache gehört», so Kreutner.

Philip Bessermann, Geschäftsleiter der GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus, ist der Ansicht, dass die Bührle-Debatte nicht durchgehend antisemitisch sei, aber klar antisemitisch anschlussfähige Elemente enthalte. Problematisch seien vor allem zwei Muster: Erstens werde jüdische Identität ohne sachlichen Grund markiert und mit Vorwürfen der Voreingenommenheit verknüpft: «Wenn der ‹Blick› Raphael Gross als ‹jüdischen Historiker› bezeichnet und gleichzeitig Manipulation unterstellt, oder wenn Lukas Gloor Gross’ Erfahrung in jüdischen Institutionen als Zeichen politischer Befangenheit deutet, entsteht ein klassisches Vorurteil: Jüdische Stimmen seien nicht neutral, sondern interessengeleitet. Die antisemitische Präposition ist nur schwer wegzureden».

Neues Narrativ
Zweitens zeigten einige Kommentare laut Bessermann eine Form sekundären Antisemitismus: «Die NZZ spricht von ‹Bührle-Bashing› und einem ‹Feldzug›, wodurch die Aufarbeitung des Unrechts an jüdischen Vorbesitzerinnen und Vorbesitzern als überzogen oder politisch motiviert erscheint. Die Perspektive kippt: Nicht die historische Verantwortung steht im Zentrum, sondern die vermeintliche Belastung der Stiftung.» Keine Worte zu dem Thema findet Mischa Liatowitsch, der erste Antisemitismusbeauftragte der Schweiz, der seine Stelle bei der Stadt Zürich im Herbst angetreten hat. Seitens des Kommunikationsverantwortlichen Wigger heisst es, Liatowitsch sei daran, sich einzuarbeiten: «In dieser Einarbeitungsphase verzichtet er auf öffentliche Stellungnahmen.» Eine verpasste Chance, sich hinter Gross zu stellen, der seinen Auftrag erfüllt und durch seine fachkundige Arbeit zum Ergebnis gekommen ist, dass die Stiftung Bührle ihre Hausaufgaben bisher nicht erledigt hat. Es ist einfach, nun mit dem Finger auf ihn zu zeigen. Einfach macht es sich auch die Stiftung Bührle, die der Stadt Zürich damit droht, den Vertrag Ende 2034 auslaufen zu lassen. Knauss fragt sich, was die Drohung der Stiftung soll, Zürich verlassen zu wollen? Denn: «In Europa kann sich kaum ein Museum leisten, die Sammlung jemals zu übernehmen.» Wenn keine unanfechtbare Provenienzforschung stattfände, kämen nur autoritäre Staaten in Fragen, denen die Provenienzforschung nicht so wichtig sei, glaubt Knauss. Es ist bitter: Diejenigen, denen der verantwortungsvolle Umgang mit der Sammlung Bührle wichtig ist, scheinen nicht auf der Seite der Gewinner zu stehen.

Valerie Wendenburg