Das jüdische Logbuch 09. Mai 2018

Jüdische Nichtjuden

Genf, Mai 2018. Ihre Liebe gilt Jesus. Sie nennen ihn Jehoshua, sehen in ihm den Messias und betrachten das Alte und Neue Testament als äquivalent. Rebekka ist geborene Amerikanerin. Sie hat es durch Heirat mit einem armenisch-libanesischen Christen über Umwege in die Schweiz verschlagen. Ihr jüdischer Vater war schon messianischer Jude, ihre Mutter christlichen Glaubens. Messianische Jüdinnen und Juden können geborene Christen oder Juden sein; Mitglied sind sie meist in christlichen Kirchen oder eigenen Gemeinschaften. Vermutlich ist ihre Zahl weltweit gross. Alleine im nationalsozialistischen Deutschland gab es um das Jahr 1933 rund eine halbe Million «nichtarischer Christen». Heute sind in den USA messianische Juden gerade in freikirchlichen Organisationen stark verbreitet. «Jews for Jesus», ein amerikanisches evangelikales Missionswerk, das Juden zum Christentum bekehren will, ist in den letzten Jahren populärer geworden. Es vermischt jüdische und christliche Aspekte zu einem eigenen Weltbild. Die Juden für Jesus verstehen sich paradoxerweise als jüdische Organisation und sind zugleich stark missionarisch unterwegs. Rebekka hat leuchtende Augen, eine junge Frau, Mutter von fünf Kindern. Voller Inbrunst trägt sie an diesem Abend Lieder getränkt von Liebe zu Jesus vor. Die Texte sind hebräisch und englisch. Ihr Ehemann zitiert aus Talmud und Evangelium gleichsam und antwortet geduldig auf Fragen zum Verständnis eines Glaubenszugangs, der von jüdischer und ebenso von christlicher Seite weitgehend abgelehnt und mitunter sogar als klassischer Antijudaismus bezeichnet wird. Doch das ist eine andere komplexe Materie, die sich allenfalls beim versuchten Verständnis der theologischen Zu- und Widergänge erschliesst. Nach Abenddebatten über das biblisch definierte Israel im Verhältnis zum heutigen säkularen Staat und dem Anspruch messianischer Gruppierungen, über die Wiederauferstehung Jesu im Kontext jüdisch-messianischer Exegese oder der christlich-religiös aufgeladenen Unterstützung für Israel im Verhältnis zur Frage nach einer jüdisch-emanzipierten Selbstbestimmung im Kontext von Übergriffen löst sich der argumentative Diskurs durch diese für Juden oft befremdliche starke Liebe zu Jesus und diesem Falle Jehoshua auf. Rebekka lächelt zum Abschied, getragen von dieser Liebe und wissend, dass sie den Gesprächspartner mit der anderen Erfahrung und mehr Fragen als Antworten, aber mit ihrer Liebe in eine wunderbare Frühlingsnacht am Lac Léman entlässt und ihren eigenen Pfad der Überzeugung weiterschreitet.

Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.

Yves Kugelmann