Das Jüdische Logbuch 25. Jan 2019

Holocaustopfer-Gelder gegen Antisemitismus?

Paris, Januar 2019. Viele Geschäfte im 8. Arrondissement in Paris sind mit Holz verbarrikadiert. Zeugnisse der Randale der letzten Wochenenden bei Manifestationen der «Gelbwesten». Es ist ruhiger als sonst auf Paris’ Strassen. Heftiges Schneetreiben der vergangenen Tage hat den Verkehr nahezu lahmgelegt. Viele Pariser gehen gar nicht erst aus dem Haus oder nutzen die Metro. An der Avenue Percier befinden sich die Büros der Fondation de la Memoire de la Shoa (FMS). Gegründet wurde die gemeinnützige Stiftung im Jahre 2000 und mit rund 400 Euro geäufnet. Das Kapital stammt aus Vermögen, das unter der deutschen Besatzung und dem Vichy-Regime von jüdischen Bürgern konfisziert und nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht an die Eigentümer oder Erben zurückgegeben wurde. Die Stiftung setzt sich für Aufarbeitung, Erinnerung und Aufklärung zur Schoah sowie Kampf gegen Antisemitismus ein. Präsidiert wird sie mit grossem Engagement von Baron David de Rothschild. Die Stiftung hat hohe Kredibilität in Frankreich. Der Historiker Serge Klarsfeld oder die inzwischen verstorbenen Politikerin und Überlebende Simon Veil oder der Filmemacher Claude Lanzmann waren lange aktiv für die FMS ebenso wie viele andere Persönlichkeiten. Die Organisation ist eine der profiliertesten in Europa, sicher auch durch ihren an den Staat angebundenen Charakter, engagiert sich stark im Bildungsbereich etwa mit Ausbildungsprogrammen für Lehrerinnen und Lehrer und betreibt keine politische Agenda. Das Stiftungskapital wird nicht tangiert, jährlich werden rund 20 Millionen unter anderem für jüdische Kultur ausgeschüttet. Die Frage bleibt legitim, ob jüdische Organisationen allenthalben Erinnerungsarbeit an die Schoah und Kampf gegen Antisemitismus finanzieren und übernehmen müssen oder solche Mittel nicht besser für die Stärkung des gesellschaftlichen, sozialen oder kulturellen Lebens jüdischer Gemeinschaften nutzen sollten. Das Diktum des französischen Philosophen Jean-Paul Sartre aus seinem Essay «Überlegungen zur Judenfrage», Antisemitismus sei ein Problem der Gesellschaft und nicht der Juden, kann zur Schlussfolgerung führen, dass die Bekämpfung von Judenhass Aufgabe der Gesellschaft weit über politisches Rituale und eingesetzte Funktionäre hinaus sein müsste. Auch am Vortag zum Europäischen Holocaust-Tag vom 27. Januar schlägt der Einsatz von Mitteln aus jüdischen Quellen im Bereich Schoah-Erinnnerung und Antisemitismusbekämpfung europaweit immer noch viel zu hoch zu Buche. Würde sich etwas ändern, wenn das jüdische Engagement in diesen Bereichen zugunsten von anderem verringert werden würde? – Es hat zu Schneien aufgehört und bereits Mitte Nachmittag dunkeln die Strassen ein. Beim Gang über die Strassen zurück in Richtung Bastille springen die verbarrikadierten Schaufenster wieder ins Auge. Es sind die ruhigen Tage vor dem erneuten «gelben» Sturm. Die Anliegen der Bewegung der «Gelbwesten» werden von weit mehr Franzosen aus allen politischen Lagern geteilt als der gewalttätige Weg, den die Exponenten bei Demonstrationen gewählt haben. Am Wochenende sind wieder Manifestationen angesagt. Die Betrübnis darüber, dass Teile der Kampagne mit stark aufgeladenen jüdischen Stereotypen oder antisemitischen Slogans operieren, machen nicht nur die Mitarbeiterinnen der FMS besorgt. Die Frage bleibt, ob antijüdische Ausläufer der Bewegung ohne Einsatz von jüdischen Organisationen noch grösser wären. Die Barrikadenziele von einst an der Bastille für Gleichheit, Freiheit und Solidarität stehen oft im Widerspruch zur französischen Geschichte und jetzt auch zu den «Gelbwesten».

Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.

Yves Kugelmann