Das Jüdische Logbuch 10. Jan 2020

Die Antisemitismus-Lobbyisten

Johannesburg, Dezember 2019. Aufruhr in Südafrika. Eine Umfrage der amerikanischen Anti-Defamation League (ADL) kommt in einem Report zum Schluss, dass jeder zweite Südafrikaner negative Perzeptionen zu Juden hat. Damit liegt Südafrika nach Polen auf Platz zwei dieser Rangliste. Die ADL untersuchte 18 Länder auf Basis von zehn Fragen und publizierte ihre Resultate in der überforderten und mittlerweile auch nicht mehr so daran interessierten Öffentlichkeit. Der südafrikanische Jewish Board of Deputies (SAJBD) reagierte sofort und kritisierte den Übergriff von ADL. SAJBD kritisierte den Report als methodisch und im Resultat falsch. Schliesslich weise Südafrika seit Jahren eine der niedrigsten Antisemitismusraten auf. In einem ausführlichen Statement ging der SAJBD sehr nüchtern und sachlich auf den ADL-Report ein und zerpflückte ihn. Allerdings war die Sache damit längst nicht aus der Welt, sondern hatte sich verbreitet und die fundierten Gegenstudien wurden im Diskurs kaum zur Kenntnis genommen. Gegenüber tachles zeigten die Verantwortlichen für Aufklärungsarbeit im Jüdischen Museum von Kapstadt auf, wie etwa Jüdinnen und Juden in Schulklassen aufgenommen wurden, was die Analyse der SAJBD bestätigte. Der Fall ist symptomatisch für die Art und Weise, wie in Israel, Europa und USA Daten zu Antisemitismus von jüdischen Lobbyorganisationen ohne methodische, empirische, wissenschaftliche Kompetenz in Bezug auf soziale und soziologische Einordnungen von Resultaten erhoben werden. Was eigentlich Sache für Wissenschaft und Forschung wäre, wird zum gut bezahlen Hobby und letztlich zur Selbstlegitimation von Lobbyorganisationen, die dann wiederum mit den selbstgenierten Resultaten und Presseechos Spenden sammeln und letztlich einen politischen Einschlag zu generieren versuchen.

Auch in der Schweiz veröffentlicht der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) jährlich fragwürdige Zahlen, die eigentlich von ernstzunehmenden unabhängigen Instituten oder zum Beispiel der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR) in einem regelmässigen Monitoring erhoben werden müssten. Denn! Antisemitismus existiert, er wird komplexer in seinen Erscheinungsformen und schwieriger zu bekämpfen. Er sollte aber nicht instrumentalisiert und dann zum Spielball der Politik gemacht werden, die dann allenfalls noch gut bezahlte Beauftragte dafür installiert, aber das Problem nicht löst, sondern verwaltet.

In Südafrika hat die jüdische Gemeinschaft gegen den US-Kolonialismus selbstbewusst reagiert. Doch weltweit quälen selbsternannte Antisemitismus-Experten und Organisationen die Gemeinschaft mit unsoliden und dilettantisch erhobenen Daten. Das schadet der Sache, bekämpft den Antisemitismus nicht und kostet viel Geld, das für sinnvolle Projekte im Bereich Aufklärung gegen Antisemitismus genutzt werden sollte. 


Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.

Yves Kugelmann