Die Hebräische Universität Jerusalem feiert ihr 100-jähriges Bestehen, während im Zuge des Gaza-Krieges auch Schweizer Universitäten Kooperationen auflösen – doch die historisch gewachsenen Banden bleiben stark.
Die Hebräische Universität Jerusalem (HUJ) feiert in diesem Jahr ihr 100-jähriges Bestehen. Die Universität ist ein Prestigeprojekt der zionistischen Bewegung. Ihr markanter Turm ist einer von dreien auf dem Bergkamm des Ölbergs. Das HUJ-Logo ist eine Kombination aus den stilisierten hebräischen Buchstaben Alef und Ayin, den Anfangsbuchstaben der Worte «universita» («Universität») und «ivrit» («hebräisch»). Über diesen Buchstaben steht die Fackel des Lehrens und Lernens. Sie repräsentiert auch die Spender, deren Unterstützung die Flamme am Leben hält.
Die HUJ residiert auf den östlichen Ausläufern des Ölbergs, dem Skopusberg, hebräisch «Har hazofim» («Berg der Wächter» oder «Aussichtspunkt»). In Zeiten, in denen den Juden unter Androhung drakonischer Strafen der Zutritt nach Jerusalem untersagt war, stiegen sie auf den Skopusberg, von wo aus sie wehmütig auf ihre ehemalige Hauptstadt und ihr religiöses Zentrum blickten. Als die zionistischen Organisationen beschlossen, in Jerusalem eine jüdische Hochschule zu errichten, aus der später die Hebräische Universität hervorging, hielten sie es für unklug, Spenden für ein Projekt auf dem Ölberg zu erbitten, aus gutem Grund, denn dieser Bergkamm ist christlich dominiert. Da der auserkorene Standort in etwa der Beschreibung des antiken Skopusbergs entsprach, wurde beschlossen, den östlichsten Gipfel Skopusberg zu nennen.
«Im Namen des Zionismus» errichtet
Sichtlich bewegt beschrieb Chaim Weizmann, der erste Präsident des Staates Israel, die Grundsteinlegung der Hebräischen Universität am 24. Juli 1918 mit folgenden Worten: «Die untergehende Sonne überflutete die Hügel von Judäa und Moab mit goldenem Licht. Es war mir, als ob diese lichtumflossenen Gipfel verwundert auf uns herabblickten. Vielleicht ahnten sie, dass nach so langer Zeit das Volk, das zu ihnen gehörte, endlich zurückkehren würde. Unter uns lag Jerusalem wie ein schimmerndes Juwel.» Tatsächlich wurden 13 Grundsteine gelegt: 12 symbolisch für die 12 Stämme Israels und einer «im Namen des Zionismus». Auf Letzteren hatte Chaim Weizmann bestanden, zu jenem Zeitpunkt Präsident der britisch-zionistischen Föderation, denn die Hebräische Universität sollte eine Hochschule für Juden und Jüdinnen, frei von Antisemitismus sein. Während der abendlichen Zeremonie, der 6000 Gäste beiwohnten – unter ihnen weilten der Oberrabbiner von Palästina, Abraham Isaac Kook, der britische Aussenminister Arthur James Balfour, der Hochkommissar für das britische Mandatsgebiet Palästina, Herbert Samuel, sowie der Schriftsteller Chaim Nachman Bialik – waren in der Ferne die Kampfhandlungen zwischen den Osmanen und den Briten zu hören. Im Dezember 1917 hatte die britische Armee Jerusalem eingenommen, im September 1918 brach die osmanische Front endgültig zusammen.
Schon 1897 hatte der Heidelberger Mathematikprofessor Hermann Schapira beim Ersten Zionistischen Kongress in Basel eine «jüdische Universität» vorgeschlagen, was die zionistische Bewegung aufgriff und zu einem ihrer wichtigsten Anliegen machte. Chaim Weizmann konnte nicht teilnehmen, er hielt sich in Moskau auf, war jedoch Delegierter auf dem zweiten Kongress 1898, der ebenfalls in Basel tagte. Im selben Jahr wechselte Weizmann an die Universität Freiburg in der Schweiz, um seine Dissertation abzuschliessen, konnte sein erstes chemisches Patent verkaufen und wurde 1901 Assistent an der Universität Genf und zu einer engagierten Persönlichkeit in der zionistischen Bewegung. Weizmann erkannte Herzls Führung an, kritisierte aber dessen Fokus auf die Diplomatie. Während Theodor Herzl versuchte, eine Charter vom türkischen Sultan zu erlangen, sorgte sich Weizmann um die hebräische Kultur und hatte 1902 gemeinsam mit seinen Mitstreitern Martin Buber und Berthold Feivel 1902 ein Pamphlet mit dem Titel «Eine jüdische Hochschule» veröffentlicht, das die Gründung einer Hebräischen Universität als spirituelles Zentrum des Zionismus forderte und die Prinzipien für die Organisation einer Universität des jüdischen Volkes darlegte. Die zionistische Bewegung erklärte die Schaffung einer Stätte jüdischer Gelehrsamkeit zu einem ihrer dringlichsten Anliegen.
Der Kampf um Sprache und Identität
Am 8. Februar 1923, zwei Jahre vor der offiziellen Eröffnung der Universität am 1. April 1925, hielt Albert Einstein eine Rede. Als Thema wählte der Nobelpreisträger von 1921 seine wenige Jahre zuvor entwickelte Relativitätstheorie, welche die Physik der damaligen Zeit revolutioniert hatte. Für die Begrüssung mühte sich Einstein auf Hebräisch ab, griff dann auf Französisch zurück, der Ausnahme-Physiker konnte nicht Englisch sprechen. Die Sprache war zur damaligen Zeit ein heikles Thema – und das ist sie bis heute. Im 1912 errichteten Technion in Haifa wurde zunächst auf Deutsch unterrichtet.
Nach massiven Widerständen, welche auch als «Krieg der Sprachen» in die nationale Geschichte eingingen, entschied sich das Leitungsgremium 1914 für Hebräisch als Unterrichtssprache. Deutsch war Anfang des 20. Jahrhunderts die Wissenschaftssprache. Viele Professoren stammten aus Deutschland oder beherrschten die deutsche Sprache, so auch der Naturwissenschaftler, Mediziner und Religionsphilosoph Yeshayahu Leibowitz, welcher 1903 in Riga geboren wurde, welches damals noch Teil des Russischen Reiches war. Während des russischen Bürgerkriegs 1919 verliess seine Familie ihre Heimat und zog zunächst nach Berlin, wo er Chemie studierte und 1924 promovierte, während er parallel noch Medizin in Köln und in Heidelberg studierte. 1934 habilitierte Leibowitz in Basel in Medizin, denn dies war ihm als Juden nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Berlin verwehrt. Noch im selben Jahr wanderte Leibowitz mit seiner Ehefrau nach Palästina ein, wo er 1936 in die Hebräische Universität Jerusalem eintrat, 1941 einen Lehrstuhl für Biochemie erhielt und 1952 zum ordentlichen Professor für organische Chemie und Neurophysiologie berufen wurde. Yeshayahu Leibowitz war Herausgeber der «Encyclopaedia Hebraica» («Die Hebräische Enzyklopädie») und ist für seine religionsphilosophischen Schriften sowie für seine scharfe Kritik an der israelischen Politik bekannt geworden. Er warnte eindringlich davor, dass der Staat Israel und der Zionismus heiliger geworden seien als die jüdisch-humanistischen Werte, und kritisierte Israels Politik und Gebaren in den palästinensischen Gebieten.
Auch die HUJ war in den Strudel des «Sprachen-Kriegs» geraten. Letztlich konnten sich die Befürworter des Hebräischen als Lehrsprache durchsetzen. 2013 erlaubte die HUJ erstmals offiziell, dass Promotionsarbeiten neben Hebräisch auch auf Englisch eingereicht werden können, was vorher nur fallweise erlaubt gewesen war. Die 1890 gegründete Akademie für die hebräische Sprache protestierte vehement, denn sie befürchtete eine Abwertung des Hebräischen. Die Universitätsleitung argumentierte, dass der globale Wissensaustausch grösstenteils auf Englisch stattfinde, daher müsse diese Sprache auch zugelassen werden. Das Technion, wo einst der «Krieg der Sprachen» ausgebrochen war, zog nach und bietet seit geraumer Zeit den Wirtschaftsstudiengang ausschliesslich auf Englisch an. Das die Dinge diesen Lauf nehmen würden, war 1923 noch undenkbar.
Infolge des israelischen Unabhängigkeitskriegs wurde der Universitätsbetrieb in die Stadt verlagert und fand zerstreut in verschiedenen Gebäuden statt, bis 1958 der Givat-Ram-Campus nach fünfjähriger Bauzeit eingeweiht wurde. Nach dem Sechstagekrieg 1967 und der damit einhergehenden Wiedervereinigung Jerusalems wurde 1969 der Lehrbetrieb auf dem Skopusberg wieder aufgenommen. Seit 1981 ist die Stätte wieder offiziell das Zentrum der Universität. Finanzielle Unterstützung erfolgt auch durch die Schweizer Freunde der Hebräischen Universität (CHFHU) mit Büros in Genf und Basel. Die CHFHU fördert Studierende und Wissenschaftler sowie Forschungsprojekte aller Fachrichtungen. Zudem engagiert sie sich für ihre Spender und Alumni durch Programme, gesellschaftliche Veranstaltungen und Missionen an der Universität. An internationalen Austauschprogrammen nehmen jährlich Hunderte von Studierenden teil. In der HUJ-Erklärung anlässlich ihres 100-jährigen Bestehens heisst es: «Mit über 23 000 Studierenden aus 90 Ländern ist die Hebräische Universität ein wichtiger Träger der zivilen wissenschaftlichen Forschung Israels.» Die Hebräische Universität hat sich die Ausbildung öffentlicher, wissenschaftlicher, pädagogischer und beruflicher Führungspersönlichkeiten, die Bewahrung und Erforschung jüdischer, kultureller, spiritueller und intellektueller Traditionen sowie die Erweiterung des Wissens zum Wohle der gesamten Menschheit zum Ziel gesetzt.
Am Ziel vorbei
Die weitreichenden Entscheidungen der Universitäten Lausanne und Genf hinsichtlich ihrer Kooperationen mit der HUJ treffen die Universität schwer. «Angesichts der Besorgnis über den Gaza-Krieg und mögliche Kriegsverbrechen», erklärt Netta Barak-Corren, Rechtsprofessorin an der Hebräischen Universität und Leiterin des Komitees für akademische Freiheit, «hat die Universität Lausanne ihre institutionelle Zusammenarbeit mit der Hebräischen Universität Anfang Juni 2025 beendet. Auch die Universität Genf kündigte ihre strategische Kooperationsvereinbarung mit der HUJI (…) mit der Begründung, dass sie auch die Zusammenarbeit mit anderen Universitäten beendet habe. Sie verzichtete auf die Angabe eines konkreten Grundes, warum auch wir betroffen sind.»
Auf die Frage nach ihrer Interpretation der Entscheidungen fasst Barak-Corren zusammen:
«In beiden Fällen sind wir zutiefst enttäuscht. Es handelt sich um akademische Boykotte, die auf internem Druck beruhen und auf falschen Prämissen und haltlosen Anschuldigungen basieren. Die Entscheidungsträger glauben, Solidarität mit den Palästinensern zu zeigen, übersehen dabei aber völlig, dass sie damit der unabhängigen Wissenschaft und Forschung ernsthaft schaden – beides Bereiche, die nicht an Landesgrenzen haltmachen und allen Menschen weltweit dienen. Diese und ähnliche Entscheidungen in ganz Europa haben bereits die Krebsforschung, die Grundlagenforschung in Physik und Mathematik sowie die Forschung zum Schutz von Kindern in Kriegsgebieten – palästinensischen wie israelischen – beeinträchtigt.» Laut Barak-Corren würden die Boykotte auch nicht ihr Ziel erreichen: «Die Boykotte spiegeln auch ein Missverständnis der politischen Lage in Israel wider. Die israelische Regierung wird sich von einem Boykott der Hebräischen Universität in ihren Entscheidungen und zukünftigen Massnahmen weder beeindrucken noch beeinflussen lassen. Ein Boykott der HUJ ist schlicht kontraproduktiv!» Die HUJ engagiert sich zudem intensiv für die Unterstützung arabischer Studierender. 2008 wurde eine Abteilung eingerichtet, um arabische Studierende während ihres Studiums zu unterstützen und so die Abbruchquoten zu senken. Oft scheitert die Einschreibung an unzureichenden Hebräischkenntnissen.
«Durch gezielte Förderung und Betreuung arabischer Studierender stieg der Anteil arabischer Studierender von 9 Prozent auf aktuell 21 Prozent unseres Studienanfängerjahrgangs», erklärt Barak-Corren. «Nirgendwo im Nahen Osten können Araber und Juden, Palästinenser und Israelis nebeneinander in denselben Kursen studieren, gemeinsam Projekte zu Koexistenz und Frieden durchführen und im selben Labor bahnbrechende Forschung betreiben.»
Die Hebräische Universität fördert multidisziplinäre Aktivitäten in Israel und im Ausland und fungiert als Brücke zwischen akademischer Forschung und ihren gesellschaftlichen und industriellen Anwendungen. Für die Gründerväter, so schreibt es der Historiker Tom Segev, markierten die 13 Steine nicht nur die Grundsteine der Hebräischen Universität, sondern weit mehr: Die Gründung des jüdischen Staates.
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