MUSIK 18. Jul 2025

Jüdische Musik von Ravel

Maurice Ravel auf einer Aufnahme aus dem Jahr 1925.

In Leben und Werk des vor 150 Jahren geborenen Komponisten Maurice Ravel spielte Jüdisches eine vielfältige und besonders wichtige Rolle.

Als Sohn katholischer Eltern wurde der französische Komponist Maurice Ravel am 7. März 1875 in Ciboure bei Saint-Jean-de-Luz geboren und dort getauft. Seine Mutter Marie Delouart war baskischer Herkunft, der Vater Pierre Joseph Ravel hatte Westschweizer Vorfahren. Am Pariser Konservatorium studierte er wie Arthur Honegger und Darius Milhaud Kontrapunkt und Orchestrierung bei André Gédalge, einem jüdischen Lehrer. Zu seinen Freunden zählten bald die Interpreten und Komponisten Manuel Rosenthal und Alexandre Tansman. Sein Kompositionsschüler Roland-Manuel (Roland Alexis Manuel Lévy) wurde Ravels erster Biograf, der Dirigent Vladimir Golschmann einer seiner wichtigsten Förderer.

Für die Klaviermusik setzten sich schon früh Marcelle Meyer und Arthur Rubinstein erfolgreich ein. Serge Koussewitzky, Kontrabassist, Dirigent und Musikverleger, bestellte bei Ravel eine Orchesterfassung (1922) von Modest Mussorgskys Klavierzyklus «Bilder einer Ausstellung». Zu den jüdischen Dirigenten, die Musik von Ravel noch zu dessen Lebzeiten auf Schallplatten einspielten, gehört auch Pierre Monteux, Lehrer von David Zinman, Ehrendirigent des Tonhalle-Orchesters Zürich. Unter den Solisten, die in Ravels Rezeptionsgeschichte eine bedeutsame Rolle spielten, sind die Harfenistin Lily Laskine und der Geiger Jascha Heifetz anzutreffen.

Pianist von Bedeutung
Der in Paris aufgewachsene, seit 1922 zurückgezogen in seiner kleinen Villa «Belvédère» in Montfort-sur-l’Amaury lebende Komponist hatte nur ganz wenige Privatschüler. Wurden von ihm Manuel Rosenthal und Ralph Vaughan Williams kompositorisch unterrichtet, so nahm die Komponistin Germaine Tailleferre bei ihm Orchestrationsstunden. Als einziger Pianist von Bedeutung arbeitete Vlado Perlemuter (1904–2002) mit Ravel zusammen.

Der im russischen Kowno (heute Kaunas, Litauen) als Sohn eines Rabbiners geborene Musiker kam mit seinen Eltern, die vor einem Pogrom geflohen waren, 1907 nach Paris, wo er zuerst bei Maurice Moszkowski studierte. Während des Zweiten Weltkriegs lebte er als Emigrant in der Schweiz. Von 1924 bis 1927 war er von Ravel privat unterrichtet worden, 1929 führte er dessen gesamtes Klavierwerk in Paris auf. Perlemuters bekannteste Klavierschülerin ist die in Hinwil lebende Pianistin und Fotografin Gabrielle Beck-Lipsi, die Tochter des aus Łodz stammenden Bildhauers Morice Lipsi (Lipszyc).

Unter den jüdischen Auftraggebern ragen der Wiener Pianist Paul Wittgenstein, der im Ersten Weltkrieg den rechten Arm verlor und bei Ravel das Klavierkonzert für die linke Hand (1930) bestellte, und die in Charkiw geborene Tänzerin und Choreografin Ida Rubinstein (1883–1960) hervor. Ihrem Auftrag verdankt die Musikwelt mit den Balletten «La Valse» (1920) und «Boléro» (1928) zwei herausragende Meisterwerke von Ravel.

Jüdische Volkslieder
Nebst der Bearbeitung französischer, griechischer und anderer Volkslieder trat Ravel auch mit jüdischen Melodien an die Öffentlichkeit. Einer in Vilnius von Joël Engel – 1908 in Sankt Petersburg Mitbegründer der «Gesellschaft für jüdische Volksmusik» – herausgegebenen Volksliedersammlung entnahm er einen Dialog von Vater und Sohn. Die auf einem Tanzrhythmus basierende Frage «Mejerke, main Suhn, zi weiss tu, var wemen du steihst?» wird auf Jiddisch gestellt, während der Sohn in rezitativartigen Melismen auf Hebräisch und Aramäisch antwortet. Ravel integrierte diese Szene als «Chanson hébraïque» 1910 in seine vier «Chansons populaires» für Gesang und Klavier und schuf 1924 eine Orchesterfassung.

Eine fruchtbarere Beschäftigung mit jüdischem Melos geht auf eine Bestellung der an der Petersburger Oper beschäftigten Sopranistin Alvina Alvi zurück. Das in der Liturgie enthaltene Kaddisch, dessen Text auf einem aramäischen Gebet basiert, harmonisierte Ravel 1914 auf gemässigt moderne Weise ebenfalls für eine Singstimme mit Klavierbegleitung, bevor er seine höchst ausdrucksvolle Bearbeitung 1919 orchestrierte. Dem von der Auftraggeberin und vom Komponisten am Klavier noch im Entstehungsjahr in Paris uraufgeführten Kaddisch schloss Ravel das Volkslied «Alte Kashe» nach der Aufzeichnung des ukrainischen Komponisten Alexander Schitomirsky an. In seinem Buch «Jewish Music in Its Historical Development» (1929) gibt Abraham Zvi Idelsohn diese melancholische Melodie als Volkslied der Aschkenasim wieder und bezeichnet Ravels Bearbeitung als «ultramodern».

Den jiddischen Text übertrug Ravel selber ins Französische, um das später ebenfalls orchestrierte Lied unter dem Titel «L’Enigme Eternelle» («Das ewige Rätsel») zusammen mit dem Kaddisch 1915 bei seinem Hauptverleger Durand in Paris herauszugeben. In Unkenntnis der genauen Quellenlage nannte er die beiden Bearbeitungen «Deux mélodies hébraïques», obschon ihre Texte aramäischen und jiddischen Ursprungs sind. Bei der Uraufführung der Orchesterversion 1920 in Paris sang Madeleine Grey (Madeleine Nathalie Grumberg) die Sopranpartie.

Eine Neuausgabe der beiden Lieder bei Dover, New York, besorgte der amerikanische Ravel-Experte Arbie Orenstein, Autor des Standardwerks «Ravel. Man and Musician» (1968) und Herausgeber der nachgelassenen Lieder bei Salabert in Paris.

Walter Labhart