Frank Stellas Werk «Jeziory» ziert das neue Gebäude des Jüdischen Museums und verknüpft so die ähnlichen Schicksale jüdischer Gemeinden in Osteuropa und Basel.
Frank Stellas Werk «Jeziory», dessen Reproduktion nun das neue Gebäude des Jüdischen Museums der Schweiz ziert, ist als Teil seiner Serie «Polish Villages» entstanden. Die Werke dieser Serie gehen den zerstörten Synagogen Osteuropas nach, welche ebenfalls eine Inspiration für das neue Gebäude des Museums, das am 30. November eröffnet wird, und die Wahl dessen Standortes darstellen.
Das jüdische Ozery
Jeziory ist der polnische Name der Kleinstadt Ozery im heutigen Belarus. Aufzeichnungen jüdischen Lebens in der Stadt reichen bis 1667 zurück. Unter der Herrschaft des Russischen Reiches lag Ozery innerhalb des sogenannten «Ansiedlungsrayons» – des Gebietes im damaligen russischen Reich, auf das sich das Niederlassungsrecht der jüdischen Bevölkerung beschränkte. 1826 wurde ein Siddur in Ozery herausgegeben, und im Jahr 1897 betrug die jüdische Bevölkerung mehr als 1800 Einwohner und damit 42 Prozent der gesamten Bevölkerung der Stadt. Ozery hatte einen starken jüdischen Charakter – 1937 waren fast 90 Prozent der Geschäfte im Eigentum von Juden. In der Stadt waren jüdische wirtschaftliche Verbände aktiv, wie etwa ein Komitee jüdischer Handwerker, eine kooperative Bank und eine Stiftung für zinslose Kredite namens «Gemilut Hasadim» (so viel bedeutend wie «Das Geben von liebender Güte»). Mitte der 1920er Jahre wurde eine jüdische Primarschule in Ozery gegründet. Anfang des 20. Jahrhunderts breiteten sich in Ozery zionistische Aktivitäten aus – eine Ausbildungsstelle für «Haluzim» (sogenannte «Pioniere», die die jüdische Einwanderung nach Palästina vorbereiteten) wurde gegründet, und einige Einwohner emigrierten tatsächlich in das damalige Palästina.
In Jeziory entstand im 18. Jahrhundert eine Holzsynagoge. Die Synagoge – wie fast alle anderen Synagogen Osteuropas – wurde im Zweiten Weltkrieg völlig zerstört. Nach der Zerstörung wurde die Erinnerung an diese Synagogen durch den amerikanischen Künstler Frank Stella mit seiner Serie «Polish Villages» wieder ins Leben gerufen. Als Inspiration für die Serie diente das Stella vom Architekten Richard Meyer geschenkte Buch «Wooden Synagogues» von Maria und Kazimierz Piechotka. Dies bestand aus Bildern und Zeichnungen von 71 osteuropäischen Synagogen. Jedes Werk der Reihe «Polish Villages» trägt den Namen einer Stadt, in der sich eine der Synagogen befand. Zu diesen Werken zählt auch «Jeziory», dessen Reproduktion im Grossformat an der Fassade des neuen Gebäudes des Jüdischen Museums in Basel hängt.
Ein Stück Basler jüdische Geschichte
Durch die Integration des Kunstwerkes wird die Tradition osteuropäischer Holzsynagogen mit dem neuen Holzgebäude des Museums vereint. Obwohl es sich zunächst um eine blos-se Holzscheune zu handeln scheint, ist diese Wahl nicht zufällig getroffen. Der Standort der Scheune ist von wichtiger Bedeutung für die jüdische Geschichte Basels. Zwar ist das Holzhaus selbst ein ehemaliges Tabaklager, jedoch liegt es im Herzen der mittelalterlichen jüdischen Gemeinde Basels. Um die alte Stadtmauer, beim Spalentor, entwickelte sich Anfang des 13. Jahrhunderts die ehemalige Basler jüdische Gemeinde. Viele der Juden in Basel waren Münzwechsler und Geldverleiher, vor allem weil die christliche Bevölkerung diese Tätigkeiten aufgrund des kanonischen Zinsnahmeverbots nicht ausüben durfte. Am heutigen Standort des neuen Museums befand sich der alte jüdische Friedhof. Dieser wurde 1349 während der Pestpogrome zerstört, als die gesamte jüdische Bevölkerung verbrannt oder vertrieben wurde. Einige Grabsteine, die die Pogrome überstanden haben, werden heute im Museum präsentiert.
Somit bietet das neue Gebäude eine breite Perspektive auf die Schweizer jüdische Erfahrung. Nachdem das aschkenasische Judentum, das sich zunächst den Rhein entlang ausgebreitet hatte, durch Pogrome nach Osten vertrieben wurde, haben sich die Juden dort neu erfunden und gleichzeitig an ihren wichtigsten Identitätsmerkmalen festgehalten. Das jüdische Leben, das sowohl im mittelalterlichen Basel als auch in Ozery existierte und zunächst blühte, ist in beiden Fällen einem tragischen Ende zum Opfer gefallen. Durch das neue Museumsgebäude an diesem bedeutenden Standort kann es dennoch wieder gefeiert und geehrt werden.