Roger Diener hat für die das Jüdisches Museum Schweiz neue Räume geschaffen – im Gespräch spricht der Architekt über jüdische Diaspora, Kunst und Künstler.
tachles: Diener & Diener haben das Gemeindehaus der Israelitischen Gemeinde Basel, das jüdische Wohnheim Cercle und die Renovation der Synagoge Leimenstrasseverantwortet. Nun haben sie aus einer alten Scheune ein neues Jüdisches Museum erschaffen. Wie reiht sich das in die Arbeiten ein?
Roger Diener: Diese neue Arbeit knüpft an weniger bekannte Arbeiten von uns an, die mit dem Konzept für die Renovation der Synagoge Leimenstrasse in einer Zusammenarbeit mit dem inzwischen verstorbenen Architekten Jonas Hechel begannen. Die Ausstellungs- und Arbeitsräume im einstigen Tabaklager für das neue Museum zu entwickeln, das ein reguliertes Raumklima benötigt, war eine Challenge.
Ein Haus mit einer eigenen Geschichte für eine neue moderne Nutzung. Ist der Balanceakt zwischen Geschichte und Moderne für einen Architekten zu Beginn schwierig zu formulieren?
Jedes Gebäude ist erst einmal im weiteren Sinne ein Baudenkmal, weil es an die Zeit seiner Errichtung erinnert. Das ist ein grundlegender Gedanke in Städtebau und in Architektur. Auf den Zeiträumen, die sich in den Bauten dokumentieren, basieren die Schönheit und Identität der europäischen Stadt. Ein Objekt wie dieses schützenswerte, fragil anmutende Gebäude an der Vesalgasse in ein Museum zu transformieren, ohne seine ursprüngliche Identität zu verlieren, stellte eine Herausforderung dar. Im Konzept des Wandels und schliesslich in der Umsetzung kommen auf den Bestandsbau Anforderungen auf unterschiedlichen Ebenen. Es muss dem neuen zeitgenössischen Gebrauch kompromisslos genügen können. Das machte die Aufgabenstellung für uns aber weniger eine Not, sondern interessant.
Der Ort war vorgegeben. Was hätten Sie auf dem Reissbrett in Basel für einen Ort gewählt?
Im ersten Moment hat mich der neue Standort für das Museum zwar überrascht; jetzt denke ich, dass er wirklich sehr gut gewählt ist. Überraschend war für mich auch, dass es um ein ehemaliges Tabaklager geht. Dass es nicht ein Neubau geworden ist, finde ich gut. Früher waren in Basel selbst Synagogen nicht alle neu errichtete Gebäude. Zudem gibt es in der Umgebung der Vesalgasse Spuren jüdischer Geschichte. Auf eine prominentere Passantenlage ist das Jüdische Museum nicht angewiesen.
Im vorangegangenen Entwurf, für den es schon eine Baueingabe gab, hatte es ausgesehen, als müsste die Holzkonstruktion des Hauses durch eine aus Stahl ersetzt werden, während die Stützen ohne tragende Funktion erhalten geblieben wären. Das liess uns Widersprüche zwischen der statischen und technischen Tauglichkeit des filigranen Holzbaus und dem denkmalpflegerischen Anspruch befürchten. Letzterer war durch die Inventarisierung ein Fakt.
Welche Hürden gab es bautechnisch zu nehmen?
Etwa die Ertüchtigung der Tragfähigkeit dieser Holzkonstruktion, die wir Jürg Conzett und seinem Ingenieurbüro antrugen. Jürg Conzett gelang, die bestehende Holzstruktur trotz der höheren Belastung zu aktivieren.
Ein weiterer im ersten Transformationsprojekt geplanter Eingriff war, die Geschosse vom Erdgeschoss bis ins Dach mit einem neuen geschlossenen Treppenhaus zu verbinden, also Fluchtweg und Besucherweg in einem. Die Abschottung der Erschliessung vom Ausstellungsrundgang hat sich dann aber nicht nur als unsinnig, sondern auch vermeidbar erwiesen und das vertikale Raumerlebnis ist jetzt Teil der räumlichen Erfahrung der Ausstellung.
Ausschlaggebend war die Konstruktion der heutigen Fluchttreppe auf der Rückseite im Osten. Sie schien zuerst nicht realisierbar – es gibt hier ein Bauverbot. Doch es verblieben genau 1,20 Meter nutzbarer Raum, den wir der hier bestehenden Treppe zuschlagen konnten. So war die neue Fluchttreppe mit der des benachbarten Universitätsgebäudes elegant zu verbinden. Der Idee einer grosszügigen Holztreppe, die durch alle Ausstellungsgeschosse führt, und dem Wunsch nach einem offenen Raumerlebnis der Ausstellung stand dann nichts mehr im Weg.
Kurioserweise waren die Lage und die Form einer neuen Treppe schon bei der Renovation der Synagoge Leimenstrasse eine Schlüsselfrage des Entwurfs gewesen. Dort führt die neue Treppe zur Frauenempore.
Architektur hat viel mit Physik, mit Bauvorgaben, mit Wünschen der Auftraggeber zu tun. Doch Architektur ist auch Kunst. Wo können Architekten Künstler sein?
Ich glaube, dass sich Architekten und Künstler öfter als zuvor mit den gleichen Fragen befassen und die Antworten auf Aufgaben- oder gar Problemstellungen und die Möglichkeiten, zu arbeiten, sich in gewisser Weise angenähert haben. Etliche Künstler haben ja in neuerer Zeit begonnen, sich auch mit Architektur zu befassen. Zuvor, in der Tradition der Moderne des 20. Jahrhunderts, wurde allgemein zwischen zweckfreier Kunst und Architektur, die einem Gebrauch zugewandt ist, unterschieden.
Im Film «The Brutalist» leidet der Architekt darunter, dass er nicht verstanden wird. Können Sie das nachvollziehen?
Der Architekt erfährt in «The Brutalist» das Unverständnis eines ignoranten Auftraggebers und Industriebarons für sein baukünstlerisches Wirken. Wir leben in einer anderen Zeit. Grosse Bauwerke von öffentlicher Relevanz sind in Europa fast ausnahmslos an Prozesse geknüpft, welche die Projekte dem willkürlichen Gusto einer einzelnen Person entziehen. Architekten gestalten für die Gesellschaft und haben sich diesem Dialog auszusetzen. Anders als der Architekt in «The Brutalist» schöpfen wir aus diesem Austausch auch die Kraft, zu entwerfen.
Sie haben die Idee mit dem markanten Werk des Künstlers Frank Stella auf der Eingangsfassade und damit Kunst und Bau eingebracht. Die Referenz Holzbau und die verschwundenen Holzsynagogen Osteuropas hat Sie geleitet. Wieso Stella und nicht Chagall, zum dem Ihre Familie eine so enge Beziehung führte?
Wir haben diese Idee zusammen mit dem Kurator Adam Szymczyk eingebracht. Dieses Werk von Stella verstehen wir, obwohl es selbstverständlich eine autonome Arbeit ist und diese Identität bewahrt, als einen integralen Teil dieses Gebäudes. Die Verbindung des Reliefs, inspiriert durch die Holzsynagoge in Jeziory, transzendiert den profanen Holzbau an seinem Standort in Basel. Es entsteht eine Beziehung zum verlorenen Erbe, wie dem der zerstörten Holzsynagogen, das Frank Stella Anfang der 70er Jahre beschäftigte. Warum Stella und nicht Chagall? Das Relief von Frank Stella, das in exakt dieser Fassung mit dem Künstler diskutiert und festgelegt worden ist, ist ein authentisches Werk an diesem Ort, und nach der Aussage seiner Tochter das letzte Werk von Frank Stella.
Es ist so eine neue Fassung aus der Serie «Polish Villages», die er 1973/74, angeregt durch eine Dokumentation der Holzsynagogen, geschaffen hat.
Basel wird immer wieder als Architekturstadt dargestellt. Doch im letzten Jahrhundert wurde in der Stadt historische Substanz durch moderne Bauten ersetzt. Ihr Büro steht für diese Moderne. Was ist ihre Vision für die Stadt, in der gerade so viele Grossprojekte von Klybeck bis Dreispitz anstehen?
Basel muss sich erneuern. Das war auch in der Vergangenheit so. Die wesentlichen Industrien und Gesellschaften haben im 19. und 20. Jahrhundert das Bild Basels mit ihren Fabrikationsstätten und Verwaltungsgebäuden geprägt, aus funktionalen Gründen oft entlang des Rheins. Die Entwicklung der Stadt findet hier aktuell in ungleich grösserem Massstab eine Fortsetzung und bestätigt den Charakter Basels als Arbeiterstadt, die es war und geblieben ist – im Unterschied zu den Dienstleistungsstädten wie Zürich, Genf oder Luzern. Man sieht das eben am Rhein immer noch, der nach wie vor eine wichtige Infrastruktur des ganzen Landes ist, während die Seen praktisch nur noch Freizeitangebote darstellen.
Sie haben in Basel unzählige, ganz verschiedene Gebäude geschaffen. Es ist nicht einfach, Ihre Handschrift zu visualisieren. Wie würden Sie selbst diese in Worte fassen?
Eine persönliche Handschrift im Sinne einer «Signature Architecture» gibt es nicht, haben wir nie gesucht. Unser Verständnis von Architektur in der Stadt, von Permanenz und Transformation, dem Bewahren und dem Entwickeln der in jedem Fall spezifischen Identität der Stadt, schliesst eine formal prägende Handschrift aus. Hingegen gibt es in unseren Arbeiten Konstanten. Die Vergrösserung, die Dehnung von traditionellen Fenstern gehören dann vielleicht rein äusserlich dazu, eine spezifische Art, die Moderne weiterzuschreiben.
Eine Konstante: Wir werden international zu Projekten eingeladen, wenn es darum geht, denkmalgeschützte Architektur zu bewahren und zu erweitern, so wie in Zürich, wo wir an der Renovation der Tonhalle und der Restrukturierung und Vergrösserung des Kongresshauses teilhatten.
Nun ist das Stadtcasino, in dem die Zionistenkongresse stattgefunden haben, von Herzog & de Meuron umgebaut. Doch das Kongresszentrum daneben schreit nach vielen gescheiterten Projekten immer noch nach einer Lösung. Was ist ihre Vision?
Ich hatte mich für das Stadtcasinoprojekt von Zaha Hadid mit ihrem Kopfbau ausgesprochen. Sehr zum Unverständnis zum Beispiel meiner Mama, die der Form Skepsis entgegenbrachte. Übergreifende Aspekte für eine Stadt wie die Kultur sind noch wichtiger als die Architektur. Hadid hatte für das im Vergleich zu heute viel grössere Raumprogramm der Casinogesellschaft eine Lösung präsentiert, die eine erstaunliche neue Lesart des Kontextes anbot, eine dynamische Raumführung, einen besonderen Umgang mit der Topografie.
Der Barfüsserplatz hat bis heute eine eigentümliche Gestalt, weit weniger repräsentativ als der Marktplatz oder schon gar der grossartige Münsterplatz. Er dient historisch als Zugang zum Kern der Stadt.
Der Kopfbau versagt in diesem Strassenraum. Die Arkade taugt nicht als Passage und auch nicht für das Strassencafé. Schon nur, das Terrassendach in einer Kurve in den Platzraum vorzuziehen, könnte dem Raum vor dem Haus mehr Stabilität und dem strengen Kopfbau mehr Schwung verleihen. Es müsste wohl nicht ein neues Gebäude sein.
Bis heute haben Sie nie in Israel gebaut. Weshalb?
Ja. Das stimmt. Ich liebe Tel Aviv, seit ich 1973 als Student ein Jahr im Büro des Architekten Jaacov Rechter gearbeitet habe. Es gab auch einmal ein Projekt für ein neues Universitätsgebäude für die Archäologische Fakultät in Tel Aviv, das von einer Schweizer Familie gesponsert worden wäre. Aber letztlich wurde das Vorhaben, obwohl Geld geflossen ist, nicht realisiert. Die Universitätsleitung wollte kein neues Haus und hat Bedingungen an einen Vertrag formuliert, die auch unser Anwalt in Tel Aviv als unannehmbar einschätzte. Wir konnten hingegen in Europa jüdische Projekte entwerfen, zum Beispiel das Gebäude für das Mémorial de la Shoah in Drancy. Ausserdem habe ich mich als Experte in Wettbewerben für Synagogen in München und Hamburg engagiert. Und beim Jüdischen Museum Schweiz in Basel scheint mir wichtig, dass es von der Geschichte und Identität der Juden in der Diaspora handelt – und so daran erinnert, dass die Juden nicht einfach mit Israel gleichzusetzen sind.