«Das einzige Gewaltmittel, das zum Sieg führen wird, ist die politische Aufklärung im alltäglichen Kampf.»
Rosa Luxemburg
Es war Frauenstreiktag, vor einiger Zeit.
Auch in diesem Jahr werden die anschliessenden Verbesserungen – zum Beispiel kostenlose Kinderbetreuung, wie man es aus fortschrittlichen Ländern kennt, höhere Löhne für Frauen in ungelernten Berufen, Respekt und Sichtbarkeit für tausende Frauen, die von allen unbeachtet den Flughafen reinigen, Regale auffüllen, Toiletten putzen – überschaubar bleiben.
Geblieben ist eine gesprayte Nachricht an einem Haus im ehemaligen Zürcher Elendsviertel an den Gleisen (heute kosten da Mietwohnungen um die vier bis fünf Tausend Franken pro Monat).
«Wer Feminismus sagt, darf zum Genozid nicht schweigen. Palästina.»
Ich versuchte, den Satz zu verstehen, denn ich habe nicht das Gefühl, das zu dem planlosen Krieg im Gaza und dem dort geschehenden Unrecht geschwiegen würde. Selbst in der Presse, die nun in einen neuen Krieg weitergezogen ist, gibt es jeden Tag einen Gaza-Pflicht-Text und die Proteste für das Leben der Palästinenser sind nicht sehr leise.
Geschwiegen wird zu dem Elend jener, die vor Kriegen, Armut, Elend und Chancenlosigkeit fliehen und dabei von Europäern weitgehend ignoriert im Meer ertrinken. Ist das Mord? Totschlag? Beihilfe zum Mord?
Ruhe herrscht auch zum Krieg im Sudan. 14 Millionen geflohene Menschen bis jetzt, aber das ist auch wirklich zu weit weg.
Stille zu den Themen der Armut und der Obdachlosigkeit in Europa, zu der Situation der Roma, die überall in Europa in Slums wohnen, verachtet und unterdrückt werden.
Ruhe herrscht die Situation in Afghanistan betreffend. Wir erinnern uns, das ist der Ort unter Jahrzehnten Belagerung, der über Nacht von den USA und den Alliierten den Taliban überlassen wurde. Sind ja nur Frauen und Mädchen, die unter den Taliban vornehmlich leiden.
Frauenrechte im Iran, da war auch was. Im Jemen geht es ebenfalls nicht so glatt gerade – und um den Kreis zu schliessen – die Verschleppung von Frauen aus der Armut in wohlhabende Länder, ihr Missbrauch als Lusterfüllerinnen der Männer, die finanzielle Not alleinerziehender Frauen, kurz – Frauenrechte, die nichts mit Identität, Gender, und Jobs in der Führungsetage zu tun haben, sind sehr leise gepegelt.
Das ist alles kein, wie sagt man heute, Whataboutismus. Ohne Zweifel sind die Teilung Israels, die Kontrolle von Gaza und der Westbank unhaltbar und kurzsichtig. Der Krieg nach drei Jahren ist verehrend und absurd, wie alle Kriege.
Es erstaunt mich nur mitunter, wie schwierig es scheint, für andere Ungerechtigkeiten, auch im eigenen Land, im eignen Kontinent eine Protestbewegung zu organisieren. Als wäre das Themenfeld Palästina Garant, um auch ohne tiefere Information zu dem Thema mit seiner Solidarität auf der richtigen Seite zu stehen. Man kann, mit anderen Worten nicht viel falsch machen, ausser man nähme seinen Protest ernst, würde lernen, sich bilden, und im Fall des Frauenstreiks für alle benachteiligten, ausgebeuteten, unsichtbaren, benutzten, verkauften, verstümmelten Frauen der Welt auf die Strasse gehen, die Arbeit niederlegen, und das zwei Wochen lang.
Sibylle Berg ist deutsch-schweizerische Schriftstellerin und Dramatikerin. Sie lebt in Zürich.
die literarische Kolumne
27. Jun 2025
Protest für alle Frauen?
Sibylle Berg