Israel lebt seit 77 Jahren in einem Zustand periodischer Kriege. Ist das ein unausweichliches Schicksal, das es defätistisch zu akzeptieren gilt? Wie Einstein angeblich sagte: Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und ein anderes Ergebnis zu erwarten. Krieg ist der Keim des nächsten Krieges.
Mit Ägypten und Jordanien hat Israel Frieden geschlossen, zwar kühl, aber seit Jahrzehnten stabil. Auch die Abraham-Abkommen darf man als positive, wenn auch ambivalente Entwicklung sehen. Dass sie den Gaza-Krieg und das Massaker vom 7. Oktober überstanden haben, ist bemerkenswert.
Doch ein zentraler Stolperstein bleibt ungelöst: das Palästinenserproblem – sei es in Gaza oder in der besetzten Westbank. Hier ist die israelische Gesellschaft tief gespalten. Während rechtsextreme Kreise die Besiedlung von Judäa und Samaria als heilige Mission betrachten, sehen viele liberale Bürger darin ein Pfand für den Frieden, wie es bereits im Oslo-Abkommen vorgesehen war. Dessen Strukturen bestehen, trotz politischer Todeserklärungen, bis heute fort, etwa in der sicherheitsbehördlichen Zusammenarbeit mit der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA). Netanyahu hat in seiner berühmten Bar-Ilan-Rede die Zweistaatenlösung propagiert, de facto aber konsequent blockiert. Durch die Duldung illegaler Siedlungsvorposten stärkte er den Siedlungsbau und unterminierte den Friedensprozess. Seine Strategie ist es, die Palästinenser zwischen Gaza und Westbank zu spalten, die PA zu schwächen und die Hamas mit Geldern aus Katar zu stabilisieren – nach dem klassischen Muster «divide et impera».
Seit der Korruptionsprozess gegen ihn läuft, verfolgt Netanyahu eine zunehmend harte Linie. Um politisch zu überleben, integrierte er in seiner Koalition zwei messianische faschistische Parteien, die ihn wiederum an ihren ideologischen Totempfahl fesseln. Die derzeitige Situation scheint ausweglos.
Eine Lösung wäre demnach zunächst innerhalb Israels zu suchen. Der erste Schritt müsste ein gerichtlicher Vergleich mit Netanyahu sein: keine Gefängnisstrafe – aber ein endgültig garantierter Rückzug aus dem politischen Leben. Das wäre ein «Frieden mit Netanyahu» und zugleich die Grundlage für einen breiteren gesellschaftlichen Frieden mit Likud-Anhängern, nationalreligiösen Gruppen, Orthodoxen und arabischen Israelis.
Ehrenvoller Rücktritt Netanyahus: Mit einem würdevollen Abgang könnten sich moderate Kräfte im bisherigen Koalitionslager neu orientieren. Ein pragmatischer Nachfolger würde Raum für konstruktive Politik schaffen.
Aufklärung und Sicherheit: Eine aufgeklärte Debatte, flankiert von konkreten Sicherheitsgarantien, könnte auch Netanyahus Anhänger überzeugen. Noch 2009 befürworteten bei einer Umfrage des Israel Democracy Institute 67 Prozent der Israelis eine Zweistaatenlösung. Ein vergleichbarer Prozentsatz wäre unter günstigen Umständen wieder erreichbar.
Einbindung des liberalen Lagers: Das liberale Lager hat in der Vergangenheit (z. B. mit Ehud Barak oder Benny Gantz) wiederholt Koalitionen mit dem Likud zum Wohle des Landes mitgetragen. Dieser Pragmatismus muss allerseits gestärkt werden.
Einbindung der arabischen Israelis: Die Beteiligung der Vereinigten Arabischen Liste unter Mansour Abbas an der Regierung Bennett-Lapid war ein Meilenstein. Arabische Repräsentanz auf Regierungsebene stärkt die Integration, erhöht den sozialen Zusammenhalt und fördert Vertrauen – auch über die Grenzen hinweg.
Ein innerer israelischer Frieden erscheint als eine kritische Voraussetzung für eine nachhaltige Friedenslösung mit den Palästinensern, dem Libanon und Syrien und damit für das langfristige Überleben Israels.
Victor Weiss ist ehemaliger Vize-Hauptwissenschaftler am israelischen Ministerium für Wissenschaften und Technologie. Heute vertritt er die Schweizer Freunde im Schweizer Kinderdorf Kiriat Yearim.
standpunkt
30. Mai 2025
Frieden mit Netanyahu
Victor Weiss