im Gespräch 26. Sep 2025

Würden Sie Alice Weidel interviewen?

Neugier ist der Antrieb für Radiomoderator David Karasek im SRF-Studio.

David Karasek moderiert seit zwei Jahren das «Tagesgespräch» auf SRF – im Interview spricht er über journalistische Standards, Lieblingsgäste und die Halbierungsinitiative.

tachles: David Karasek, Sie sind seit 2022 Gesprächsleiter beim «Tagesgespräch» von SRF. Zuvor waren Sie eine prägende Stimme im Privatradio. Macht für Sie der Wechsel von privat zu öffentlich-rechtlich einen Unterschied?
David Karasek: Im Kern nicht. Ich habe den Radiovirus – das innere Feuer, das Medium zu lieben. Egal ob privat oder öffentlich-rechtlich: Am Ende sind es ein Studio, ein Mikrofon, ein Gegenüber und die Verantwortung, den Hörerinnen und Hörern ein präzises, lebendiges Gespräch zu liefern. Natürlich gibt es Unterschiede in Abläufen und Strukturen, aber der journalistische Anspruch ist derselbe: Klarheit schaffen und dem Publikum dienen.

Von Morgenshow bis staatstragend ist aber ein Weg.
Ja. Während meiner Zeit bei Radio 24 habe ich gemerkt, dass mir reine Unterhaltung nicht reicht. Mich interessiert, wie und warum Dinge geschehen. Ich möchte Zusammenhänge erklären, Widersprüche offenlegen und Menschen so befragen, dass Hörende mit einem Erkenntnisgewinn aus der Sendung gehen. Das war ein innerer Prozess: weniger Gag, mehr Gehalt.

Dann kam eine wichtige Phase als Korrespondent in Südamerika zum Beispiel für «Echo der Zeit». Was hat Sie dort journalistisch geprägt?
In Südamerika findet man Geschichten auf der Strasse: Sie entstehen aus Begegnungen, Gerüchen, Geräuschen. Ich hatte viel Freiheit, Themen zu setzen, und lernte, neugierig zu bleiben und genau hinzuhören. Einmal landete ich in dem Dorf eines peruanischen Präsidentschaftskandidaten. In seinem Lieblingsrestaurant erzählte mir die Köchin von seinem Leibgericht – Meerschweinchen. Sie briet es vor meinen Augen; gegessen habe ich es nicht. Solche Momente zeigen, wie nah Journalismus am Leben sein kann – und wie wichtig kulturelle Kontexte sind.

Warum dann der Wechsel zum «Tagesgespräch»?
Das ausführliche Interview ist für mich Journalismus pur. Es ist transparent: Die Hörerschaft erlebt mit, wie Informationen entstehen – da wird nichts im Off gedealt. Zwei Menschen sprechen eine halbe Stunde miteinander, live oder nahezu live, ohne doppelten Boden. Das verlangt Vorbereitung, Präsenz und Fairness.

Radio-Pionier Roger Schawinski war eine Art Mentor. Was haben Sie von Schawinski übernommen, was bewusst nicht?
Seine Entschlossenheit, Worthülsen zu stoppen und nachzufassen, wenn jemand ausweicht. Bewusst nicht übernehme ich den oft provokanten Einstieg. Er kann Gäste sofort in eine Abwehrhaltung bringen. Mir ist wichtig, dass ein Gespräch öffnet: kritisch, aber nicht zerstörerisch. Erst wenn man Vertrauen und Tempo aufgebaut hat, kann man die heiklen Stellen konsequent ansteuern.

Das Format deckt eine enorme Bandbreite ab – Politik, Wissenschaft, Wirtschaft, Kultur, Sport. Wie gelingt dieser Spagat?
Wir sind Generalisten. Das funktioniert, wenn man wirklich breit interessiert ist. Meine Ausland-Erfahrung hilft enorm: Sie schult, rasch Kernthemen zu identifizieren, Begriffe zu klären und Quellen zu prüfen. Vielfalt empfinde ich als Privileg – sie hält wach und verhindert Betriebsblindheit.

Wie gehen Sie mit wachsendem Druck von Kommunikationsabteilungen um und dem, was dem offenen journalistischen Gespräch entgegensteht: Vereinbarungen mit Presse- oder sonstigen Abteilungen rund um die Interviewten?
Er nimmt zu – spürbar. Immer öfter werden im Vorfeld konkrete Fragen verlangt. Das lehnen wir ab. In den publizistischen Leitlinien ist festgehalten: Themenblöcke ja, Fragen nein. Mitunter wird sogar versucht, uns mögliche Fragen zu liefern. Interessant, dass manche glauben, das könne funktionieren. Unsere Antwort ist konsequent: Transparenz gegenüber dem Publikum, Unabhängigkeit gegenüber PR.

Gäste wollen heute oft eigene Botschaften setzen. Wie verhindern Sie, zur PR-Bühne zu werden?
Indem wir die Gesprächsführung zurückholen. Wenn jemand nur über sein Lieblingsthema reden will, wechsle ich – wie bei einer Bundesrätin in Locarno – nach fünf Minuten auf die AHV. Unser Publikum hat Anspruch auf Relevanz, nicht auf Werbespots.

Live-Gespräch bedeutet: kein Netz, kein doppelter Boden, kein Schnitt. Ist das für Sie Chance oder Risiko?
Beides – und genau das macht den Reiz aus. Jede Livesendung ist Premiere. Trotz Vorbereitung kann alles passieren. Manche Gäste sind nervöser, andere wollen bewusst live, weil dann nichts «verändert» wird. Für uns ist live das journalistische Glanzstück: Es zwingt zu Klarheit, Fairness und Tempo.

Wie trennen Sie persönliche Betroffenheit von professioneller Distanz?
Neutralität heisst nicht Gefühlskälte. Ich hatte etwa Sendungen zu Alzheimer – meine Grossmutter war betroffen. Die Regeln bleiben dennoch gleich. Wir berichten sachgerecht mit kritischer Distanz. Gleichzeitig vertraue ich auf meine Trigger: Wenn ich etwas zu 100 Prozent nicht verstehe, sage ich das offen. Wenn eine Antwort wirklich absurd ist, benenne ich das. Ehrlichkeit schafft Orientierung.

Was hilft gegen Floskeln?
Konkretion. Nachfragen: «Wie genau meinen Sie das?», «Welches Beispiel belegt das?», «Was hat sich konkret verändert – und woran messen Sie das?» Wenn Menschen ins Konkrete gehen müssen, bricht die Floskel automatisch auf. Das ist simpel – aber sehr wirksam.

Internationale Grosslagen – USA, Ukraine, Nahost – prägen seit Jahren die Agenda. Liegt Ihnen Ausland eher als Inland?
Das kann ich nicht sagen. Letztlich interessiert mich der Mensch im Gespräch – egal, ob es um Geopolitik oder Gemeindepolitik geht. Die Jahre in der Auslandredaktion und als Korrespondent helfen mir aber. Unterschiede zu sehen, ohne das Gemeinsame zu übersehen. Aber egal ob Innenpolitik oder Auslandberichterstattung: Mir geht es darum, über komplexe Zusammenhänge verständlich zu informieren.

Spielt Ihre eigene Identität eine Rolle, etwa wenn jüdische Gäste zu kontroversen Themen kommen, wie etwa vor kurzem alt Bundesrätin Ruth Dreifuss im Nachgang zu ihrem Auftritt an einer Palästina-Demo in Bern?
Die Leitlinien sind eindeutig: sachgerecht, vielfältig und unabhängig von Religion oder persönlicher Betroffenheit. Natürlich hat jeder eine Biografie, aber sie darf nicht Regie führen. Allenfalls bringt sie in gewissen Themen mehr Kompetenz mit sich. Das Gespräch mit Dreifuss war so eines: klar in der Sache, mit Mehrwert für die Hörerschaft.

In der Schweiz steht die Halbierungsinitiative im Raum. Wie gehen Sie als SRF-Journalist mit dieser Grundsatzdebatte um?
Indem ich jeden Tag zeige, wofür wir stehen: unabhängiger, überprüfter, relevanter Journalismus. Wir leben in einer Zeit verdichteter Krisen – da steigt der Bedarf an Einordnung, nicht an Schlagworten. Qualität kostet: Bei uns geht nichts ohne Vier-Augen-Prinzip über den Sender. Das erhöht die Genauigkeit und mündet auch in Personalkosten.

Der Ombudsweg und Beschwerden nehmen generell zu. Empfinden Sie das als Druck?
Nicht negativ. Es ist gut, dass das Publikum uns kontrollieren kann. Wenn wir Fehler machen, korrigieren wir – und die Redaktion lernt. Das steigert die Qualität. Belastender sind manchmal Social-Media-Stürme. Aber auch da: Ich beantworte Zuschriften. Oft wird aus Wut ein gutes Gespräch, wenn man ernsthaft reagiert.

Was war Ihr Highlight-Gespräch?
Harald Schmidt. Man weiss nie, wen man trifft – den Satiriker oder den Menschen. Wir haben während der Live-Auszählung zur Wahl des CDU-Parteichefs zusammen kommentiert; ich konnte zum ersten Mal mein vorbereitetes Skript weglegen, weil ein Flow entstand. Und Ruth Dreifuss: ein intensives, faires Ringen um Argumente in aufgeladenen Zeiten. Solche Momente zeigen, warum ich diesen Beruf liebe.

In Deutschland tobt eine Debatte um die AfD und somit ihren Platz in den öffentlich-rechtlichen Medien. Würden Sie eine Politikerin wie die AfD-Co-Vorsitzende Alice Weidel interviewen?
Ja, sofern sie ein Gespräch auf Augenhöhe akzeptiert – mit Unterbrechungen, Nachfragen, Faktenchecks. Klare Grenze sind justiziable Aussagen oder Hetze. Zwischen klarer Rechtswidrigkeit und legitimer, auch unbequemer Meinung gibt es aber Raum, und genau dort gehört Journalismus hin.

Das «Tagesgespräch» sendet werktags, dazu Serien im Sommer und vermehrt Veranstaltungen mit Publikum, das summiert sich auf rund 250 Ausgaben im Jahr. Viel Output für ein kleines Team. Was hält die Qualität hoch?
Teamarbeit, Vorbereitung, Neugier – und die Bereitschaft, sich Kritik zu stellen. Wir diskutieren intern hart, hören Ombudsentscheide ernsthaft an, und wir behalten uns das Recht vor, freundlich, aber bestimmt zu bleiben. Das Publikum spürt, wenn man es ernst nimmt.

Welcher Wunschgast fehlt Ihnen noch?
Ich wünsche mir weniger eine Person als einen Zustand: Dass ein Mensch im Gespräch aufhört, sich hinter Phrasen zu verstecken, sich zeigt und wir gemeinsam zu einer Erkenntnis kommen. Wenn dieser Punkt erreicht ist, ist es egal, wie berühmt jemand ist – das ist dann der Moment, in dem Radio wirklich lebt.

Yves Kugelmann