Debatte 19. Sep 2025

Unverständnis und Dankbarkeit

SP-Ständerat Daniel Jositsch plädiert für die bundesrätliche Nahostpolitik.

Die Gaza-Politik der SP Schweiz führt auch innerhalb ihrer jüdischen Mitglieder zu Debatten, einige Stimmen äussern sich in tachles zu ihrer Haltung der aktuellen Parteipolitik in Bezug auf Israel – sie sind gespalten.

Die SP Schweiz kritisiert das Vorgehen Israels gegenüber der Zivilbevölkerung in Gaza scharf und stellt in diesem Zusammenhang Forderungen an den Schweizer Bundesrat: So fordert die Partei einen sofortigen Waffenstillstand, die Aufhebung der Gaza-Blockade, die unmissverständliche Verurteilung der Kriegsverbrechen und die sofortige Wiederaufnahme der humanitären Hilfe. Zudem spricht sich für die Anerkennung des Staates Palästina als Teil einer Strategie zur Unterstützung einer dauerhaften Zweistaatenlösung durch die Schweiz aus. Um Druck auf den Bundesrat zu erhöhen, organisierte die SP Kampagnen wie den «Gaza-Appell», den mehr als 135 000 Menschen unterschrieben haben. Anfang September hat die SP zudem eine Aufsichtsbeschwerde gegen EDA und VBS eingereicht.

Auf SP-Linie
Die Meinungen jüdischer SP-Mitglieder in der Schweiz gehen auseinander – einige unterstützen die Politik ihrer Partei und treten selbst in die Öffentlichkeit. So der Zürcher Autor Thomas Meyer. Er selbst hat eine Petition an den Bundesrat und das Schweizer Parlament lanciert, in der er die Anerkennung des Staats Palästina fordert. Denn es sei nun an der Schweiz, von humanitärer Tradition nicht nur zu sprechen, sondern sie weiterzuführen. Gegenüber tachles sagt er, er sei ziemlich genau auf der SP-Linie und führt aus: «Mich stört die Forderung wie ‹Kennzeichnungspflicht für Produkte aus illegalen Siedlungen› natürlich. Wir kennzeichnen auf keinen Fall nichts Jüdisches.» Auch die Tatsache, dass die SP eine Schweigeminute für die Opfer in Gaza abhielt, den Hamas-Terror aber tagelang nicht kommentierte und damals nicht auf die Idee einer Schweigeminute kam, sei eine eigene Diskussion. «Dennoch hat Israel jegliches Mass verloren und ist zu einem Verbrecherstaat geworden, dem niemand mehr in die Hand fällt. Was dieser Horror noch mit Selbstverteidigung zu tun haben soll, ist mir ein Rätsel», so Meyer zu tachles.

Distanz zur Partei
Anderer Ansicht ist SP-Ständerat Daniel Jositsch. Er distanziert sich von der Gaza-Politik seiner Partei und sagt: «Ich unterstütze die Nahost-Politik des Bundesrats und unterstütze daher die Aufsichtsbeschwerde der SP Schweiz nicht. Die Nahost-Politik der SP sehe ich kritisch und ich erachte sie als einseitig und unausgewogen.»

Die unterschiedlichen Standpunkte werden auch innerhalb des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds (SIG) zur Kenntnis genommen. Ralph Lewin, SIG-Vize-Präsident und ehemaliger SP-Grossratspräsident des Kantons Basel-Stadt, weist darauf hin, dass der SIG sich an seiner Vorstandssitzung vom 1. September erneut mit der Situation in Gaza befasst hat (tachles berichtete). «Wir haben dabei festgehalten, dass die Meinungen innerhalb der jüdischen Gemeinschaft und auch innerhalb des Vorstands teilweise sehr unterschiedlich sind und wir uns deshalb am gemeinsamen Nenner orientieren», sagt er zu tachles. Der Dachverband orientiere sich an der Resolution der Delegiertenversammlung (DV) 2024 und der Rede des Präsidenten an der DV 2025. Das bedeutet konkret: «Wir verurteilen die Massaker der Hamas vom 7. Oktober und fordern die sofortige Freilassung aller Geiseln. Gleichzeitig sehen wir die katastrophale humanitäre Lage in Gaza und die Verantwortung aller Konfliktparteien, ziviles Leid zu verhindern. Die Versorgung der Bevölkerung muss sichergestellt werden.» Der SIG-Vorstand habe erneut seine Solidarität mit allen zivilen Opfern bekräftigt, sich aber bewusst entschieden, zu den laufenden aktuellen Entwicklungen keine weiteren öffentlichen Stellungnahmen abzugeben. Lewin fügt hinzu: «Natürlich möchte ich wie die SP so rasch als möglich ein Ende des Krieges sehen. Das Sterben muss aufhören. Das könnte auch die Hamas sofort erreichen, indem sie die Geiseln freilässt und sich ergibt, statt die eigene Bevölkerung in Geiselhaft zu halten.»

Diverse Haltungen
Der SIG trete, «auch, wenn es immer schwieriger wird» nach wie vor für eine Zweistaatenlösung ein – weil es keine Alternative dazu gebe. «Die Anerkennung von Palästina als Staat lehnen wir zum jetzigen Zeitpunkt aber ab, weil es kein Staat ist und durch Anerkennung auch nicht zu einem wird. Die Führung ist weder demokratisch legitimiert noch handlungsfähig. Die Lösung für Gaza nach dem Krieg ist leider nicht in Sicht», so Lewin. In Bezug auf die jüngste Politik der SP betont er: «Eine Aufsichtsbeschwerde gegen amtierende Bundesräte halte ich nicht für ein adäquates politisches Mittel. Auch unterstützt die Schweiz den Krieg nicht durch Waffenlieferungen. Die Schweiz verfolgt traditionell einen besonnenen Weg – mit humanitärer Hilfe, Ausgleich und Dialog. Diesen Ansatz unterstützen wir, denn er entspricht der schweizerischen Rolle als Brückenbauerin.»

Dass die Meinungen unter SP-Mitgliedern, wie überhaupt in der jüdischen Gemeinschaft, sehr divers sind, erlebt auch Samuel Rom, der früher Mitglied der Partei war und nach wie vor Kontakte mit SP-Vertreterinnen und -vertretern hat. Rom sagt: «Ich erlebte sie als differenziert und offen.» Sie seien nicht «israelkritisch» als Grundsatz, sondern würden vielmehr die demokratiefeindliche gegen «die derart menschenverachtende Politik der rechtsextremen Regierung» gegenüber der Palästinenserinnen und Palästinenser bekämpfen. «In Bezug auf Gaza fordern sie so wie die Mehrheit der Israelis ein Ende des Krieges. Sie bemühen sich auch darum, die Gefühlslage der jüdischen Gemeinschaft in der Schweiz zu verstehen und diese in ihre Handlungsweise einzubeziehen», so Rom. An der grossen Demo in Bern hätten sich die jüdischen SP-Mitglieder deutlich gegen die Extremisten gestellt und Solidarität mit den anwesenden Jüdinnen und Juden geäussert.

Erich Bloch ist seit mehr als 50 Jahren Mitglied der SP und enttäuscht von der Gaza-Politik seiner Partei. Auch wenn er sich für das Ende des Kriegs und einen Waffenstillstand einsetzt, so fehle seiner Ansicht nach die Forderung nach einem Ende des Terrors seitens der Hamas und der Freilassung der Geiseln. In diesem Sinne hat er eine Charta jüdischer Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten lanciert (tachles berichtete). Er sagt zu tachles: «Bisher haben 42 jüdische Genossinnen und Genossen unterschrieben. Und auch nicht jüdische Parteimitglieder möchten unterzeichnen.» Aktuell werde die Charta aufgrund der jüngsten Ereignisse in Gaza leicht überarbeitet.

Eine klare Haltung
Adina Rom ist ebenfalls SP-Mitglied und Gemeinderatskandidatin für den Zürcher Kreis 4+5. Sie ist der Partei «sehr dankbar für ihr Engagement für das humanitäre Völkerrecht, die Menschenrechte und die Zivilbevölkerung in Gaza». Sie folge damit zahlreichen Rufen der israelischen Friedensbewegung, Druck auf die rechtsextreme israelische Regierung auszuüben, ihre grausame Politik des Aushungerns, Tötens und Vertreibens der palästinensischen Bevölkerung in Gaza sofort zu beenden. Rom sagt: «Die SP hat auch die Kriegsverbrechen der Hamas von Anfang an verurteilt und fordert ebenfalls stets die Freilassung der Geiseln und politischen Gefangenen. Damit spricht die SP mir und vielen jüdischen Menschen aus meinem Umfeld aus dem Herzen. Die SP hat sich historisch immer für Minderheiten, für Rechtstaatlichkeit, und für Menschenrechte eingesetzt – das Regelwerk, das auch uns als Jüdinnen und Juden in der Schweiz schützt, und das für alle gelten muss.» Dieser Ansicht ist auch Eneas Prawdzic. Er ist seiner Partei dankbar, dass sie sich dafür einsetzt, dass die Schweiz endlich politischen Druck auf die rechtsextreme israelische Regierung ausübt. «Gerade als Jude erschüttert es mich zutiefst, dass die Welt zusieht, wie schwerste Verbrechen an einer gesamten Bevölkerungsgruppe begangen werden», sagt er.

Shelley Berlowitz ist ebenfalls in der SP und auch sie unterstützt die klare Haltung der SP Schweiz zu Gaza. Denn humanitäre Hilfe müsse sofort gewährleistet werden, der Krieg beendet, die palästinensische Zivilbevölkerung geschützt und alle Geiseln freigelassen werden. «Es ist die Pflicht von Bundesrat und Parlament, sich – wie die SP fordert – entschieden für ein Ende des Genozids einzusetzen. Eine Anerkennung Palästinas ist zwar ein richtiger und längst überfälliger Schritt, aber ohne konkrete Massnahmen bleibt sie reine Symbolpolitik.» Ebenso reiche aus ihrer Sicht ein Boykott radikaler Siedlerinnen und Siedler allein nicht aus: «Sanktioniert werden müssen vor allem jene Institutionen, die diese Gewalt ermöglichen und absichern – Armee, Polizei, und Regierung Israels.»

Lena Allenspach, Mediensprecherin der SP Schweiz, sagt zu tachles: «Gerade auch viele jüdische SP-Mitglieder erwarten zu recht eine klare Position der SP zu den Völkerrechtsverletzungen durch die israelische Armee in Gaza. Wir setzen uns für einen sofortigen Waffenstillstand ein – wie auch eine Mehrheit der Israelis. Die SP fordert weiterhin mit Nachdruck die Freilassung aller Geiseln aus der Gefangenschaft der Hamas sowie die Freilassung aller politischer Gefangener. Die Abriegelung des Gazastreifens für Nahrungsmittellieferungen muss sofort beendet werden. Hunger darf niemals als Kriegswaffe eingesetzt werden.»

Das Statement der Partei ist klar. Eine klare Linie in der Haltung der jüdischen SP-Mitglieder gibt es nicht. Während einige die klare Gaza-Politik unterstützen, hadern andere mit den Statements der SP Schweiz, die sich klar positioniert.

Valerie Wendenburg