Die JUSO-Initiative wirft grundlegende Fragen zu gesellschaftlicher Gerechtigkeit, Gemeinnützigkeit und Steuerpolitik auf – vor der Abstimmung am 30. November ist auch die jüdische Gemeinschaft uneinig.
Am Sonntag wird über die «Initiative für eine Zukunft» abgestimmt. Die von den Jungsozialisten und Jungsozialistinnen Schweiz (JUSO) lancierte Volksinitiative sieht einen Steuersatz von 50 Prozent auf Nachlässe und Schenkungen im Wert von über 50 Millionen Franken vor. Die Steuereinnahmen sollen in die Bekämpfung der Klimakrise fliessen. Die Debatte rund um die Initiative betrifft wichtige Aspekte jüdischen Lebens und jüdischer Tradition, wie einerseits den Einsatz für eine gerechte Gesellschaft, aber andererseits auch die Bewahrung von traditionellen Institutionen der Gemeinschaft, wie vor allem gemeinnützigen Organisationen und Stiftungen. Wie zu erwarten ist, sind die jüdischen Perspektiven zur «Initiative für eine Zukunft» äusserst unterschiedlich und divers.
Für die JUSO stellt die Initiative einen Schritt zur Klimagerechtigkeit dar. In der Schweiz verfügen nur rund 2500 Personen über ein Vermögen von mehr als 50 Millionen Franken. Die JUSO betont, dass lediglich diese von den anfallenden Steuern betroffen wären. Im Fall einer Annahme der Initiative sei nach Angaben der JUSO durch die vorgesehenen Massnahmen mit Einnahmen von sechs Milliarden Franken zu rechnen. «Superreiche haben ihr Vermögen durch die Ausbeutung von Menschen und Natur erwirtschaftet, es ist an der Zeit, dass sie für ihre Klimaverbrechen zur Kasse gebeten werden», erklärte Nathalie Ruoss, Vizepräsidentin der JUSO, anlässlich einer Lancierungsaktion letzten Monat.
Der Bundesrat spricht dagegen von einer Kapitalflucht. Die vorgesehene Steuer würde demnach zur Massenauswanderung von reichen Unternehmern führen. Gemäss einem Gutachten von Marius Brülhart von der Universität Lausanne im Auftrag der Eidgenössischen Steuerverwaltung könnten damit mehr als 77 Prozent des betroffenen Vermögens aus der Schweiz wegfliessen, was massive Steuerausfälle bei der Einkommens- und Vermögenssteuer zur Folge hätte. Für diese müssten Bund, Kantone und Gemeinden aufkommen.
Erbschaft zugunsten der Allgemeinheit
Alexander Herren, jüdisches Mitglied der JUSO und SP-Kandidat für die Zürcher Gemeinderatswahl, liegt das Anliegen am Herzen. «Die Initiative bringt uns auf den Weg, die Klimakrise zu adressieren und zu bewältigen. Die Initiative geht gegen eine bürgerliche Klimapolitik, die nicht gewirkt hat. Ich denke, dass sie extrem wichtig ist, weil wir auf diesem Planeten leben wollen. Mit der Initiative kommen Erbschaften noch der Allgemeinheit zugute, darüber hinaus den Armen.» Die Bedenken bezüglich einer Kapitalflucht hält er für Panikmache. «Die Reichen wohnen hier wegen der guten Infrastruktur in der Schweiz. Eine massive Kapitalflucht ist nicht realistisch. Zum Beispiel: Der Kanton Genf hat eine hohe Vermögenssteuer und trotzdem bleiben viele Firmen dort.»
Kritik an der Initiative kommt allerdings nicht nur aus den bürgerlichen Parteien, sondern auch aus den eigenen Reihen der SP. Zürcher SP-Ständerat Daniel Jositsch sieht die JUSO-Initiative kritisch: «Die Initiative ist wirtschaftsfeindlich und bringt mittlere und grössere Unternehmen bezüglich Nachfolgelösungen in Schwierigkeiten. Deshalb gefährdet sie auch Arbeitsplätze.» Laut Herren vertritt Jositsch allerdings eine kleine Minderheit in der SP, die sich immer noch überwiegend hinter die Initiative stellt. Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) seien von der Initiative Herren zufolge nicht betroffen: «Der Freibetrag ist mit CHF 50 Millionen sehr hoch angesetzt. Es betrifft zudem nur Erbschaften und keinen Gewinn. Das betrifft somit keine kleinen Unternehmen, sondern nur grosse Konzerne. Die Initiative gefährdet Arbeitsplätze nicht – durch die Investitionen ins Klima werden Arbeitsplätze geschaffen.»
Konsequenzen für jüdische Gemeinnützigkeit
Wirtschaftskreise sowie die bürgerlichen Parteien lehnen die Initiative konsequent ab. Unter diesen sind auch jüdische Stimmen zu finden. Philip Karger, KMU-Berater und Mitglied der Fraktion der Liberal-Demokratischen Partei im Basler Grossen Rat, spricht Klartext: «Es geht hier um Eifersucht, es geht hier gegen eine prosperierende Schweiz. Wenn alle gleich viel haben, haben alle gleich wenig und nicht mehr. Es macht die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz kaputt. Wo kein Wettbewerb ist, ist auch kein Fortschritt.» Laut Karger wäre im Fall der Annahme der Initiative mit dramatischen Folgen für jüdische gemeinnützige Stiftungen zu rechnen: «die Leute, die das Vermögen der Stiftungen erben sollen, werden die Schweiz verlassen oder einfach weniger Vermögen haben. Das wird die Handlungsfähigkeit gemeinnütziger Stiftungen beeinträchtigen.»
Karger bestreitet nicht, dass die Initiative eine sehr begrenzte Anzahl von Personen betreffen würde. Trotzdem hält er die Initiative auch hinsichtlich der Gesamtbevölkerung für schlecht: «Die wenigen Reichen, die über 50 Millionen haben, machen einen grossen Teil der Bundessteuer aus. Wenn sie weg sind, müsste die Gesamtbevölkerung für die Steuerausfälle aufkommen. 0,05 Prozent der Bevölkerung sind betroffen, aber die bezahlen 3 Prozent der Einkommensteuer und 27 Prozent der Vermögenssteuer. Wenn sie weg sind, steigen die Steuern in der Schweiz.»
Ähnlich sieht es Ilan Rom, Steuerexperte und Partner bei der Beratungsfirma Deloitte. Laut ihm hätte eine Annahme der JUSO-Initiative auf die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Schweiz verschiedene negative Konsequenzen. Bei der Übertragung nicht liquider Vermögenswerte – etwa von Familienunternehmen – verfügen die Erben oft nicht über die nötigen liquiden Mittel, um eine solch hohe Steuer zu bezahlen. «Im Extremfall müssten sie das Familienunternehmen verkaufen, um die Steuerschuld zu begleichen. Das würde die Kontinuität vieler für die Schweiz bedeutender Familienunternehmen gefährden.» Die von der Initiative verlangte Erbschaftssteuer sei zudem im internationalen Vergleich sehr hoch. «Da laut den FAQ des Bundesrats auf eine rückwirkende Anwendung der von der Initiative geforderten Massnahmen zur Verhinderung von Steuervermeidung verzichtet werden soll, ist die Zahl der vermögenden Privatpersonen, die die Schweiz schon vor der Abstimmung verlassen haben, begrenzt. Wir gehen jedoch davon aus, dass sich dies im Falle einer Annahme der Initiative ändern dürfte.»
Ähnliche Initiativen in anderen Ländern haben zu einem Zuzug wohlhabender Personen in die Schweiz geführt. «Das zeigt, dass gerade sehr vermögende Personen über die Mittel und den Willen verfügen, ihr Vermögen wirksam zu schützen. Ein Wegzug oder andere Gestaltungen wären daher durchaus realistisch.»
Geringe Erfolgschancen
Befürworter der Initiative behaupten, im Interesse der Mehrheit zu handeln. Die allgemeine Bevölkerung scheint die Initiative jedoch überwiegend negativ zu bewerten. Gemäss einer Umfrage der Schweizerischen Radio und Fernsehgesellschaft stellen sich 62 Prozent der Befragten eher oder klar gegen die Vorlage. Da es sich dabei um eine Verfassungsänderung handelt, ist neben dem Volksmehr auch das Ständemehr erforderlich. Die Erfolgschancen lassen sich somit als sehr gering einschätzen.
Diesen Unterschied erklärt JUSO-Präsidentin Mirjam Hostetmann vor allem durch die bürgerliche Lobby: «Die bürgerliche Reichenlobby macht bereits seit einem Jahr Stimmung gegen unsere Initiative.» Diese schüre Ängste in der breiten Bevölkerung, die vorrangig auf Unwahrheiten basierten. Es gebe keine wissenschaftlichen Studien, die den Mythos bezüglich des Wegzuges von Superreichen bestätigen würden. Die Berichte, die oft als Grundlage für die Berichterstattung dienen, würden mit fragwürdigen Datengrundlagen arbeiten. Gleichzeitig gebe es aber viele Superreiche, die höhere Steuern befürworten. Über diese wird jedoch kaum berichtet. Die Klimakrise sei die grösste Herausforderung unserer Zeit und wenn wir jetzt nichts dagegen täten, würden die Schäden unbezahlbar werden. «Die Zahlen sagen klar: Je grösser das Vermögen einer Person ist, desto höher sind ihre Emissionen. In der Schweiz leben Milliardäre, deren Unternehmen die Mediterranean Shipping Company allein jährlich so viel CO2 verursacht wie die gesamte Schweizer Bevölkerung. Wenn wir nicht dafür sorgen, dass diejenigen mehr für den Klimaschutz bezahlen, die die Krise befeuern, so werden wir alle schlussendlich die Kosten tragen. Das müssen wir verhindern.»