Wahlen in der icz 28. Nov 2025

Fundament Jugend, Rabbinat und Friedhofswesen

Noëmi van Gelder will neben dem VSJF- nun auch das ICZ-Präsidium übernehmen.

Noëmi van Gelder hat Ende Oktober ihre Kandidatur für das Präsidium der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich angekündigt – im Interview spricht das amtierende Vorstandsmitglied über die Vision für die Einheitsgemeinde.

tachles: Sie haben Ihre Kandidatur relativ spät angekündigt. Was war Ihre Motivation, schliesslich als Kandidatin fürs Präsidium anzutreten?
Noëmi van Gelder: Der Entscheid war keineswegs spontan. Als Jacques vor rund einem Jahr informierte, dass er nicht mehr kandidiert, haben verschiedene Personen mich angesprochen und gefragt, ob ich mir die Präsidentschaft vorstellen könnte. Damals war ich erst seit einem halben Jahr Präsidentin des VSJF und habe gesagt, dass der Zeitpunkt vielleicht noch nicht ideal sei. Aber ich habe viele Gespräche geführt, das Für und Wider gründlich abgewogen und irgendwann gemerkt: Ja, ich möchte Verantwortung übernehmen. Ich bin seit fünfeinhalb Jahren im Vorstand, seit zwei Jahren Vizepräsidentin. Ich weiss, was das Präsidium bedeutet – auch weil Jacques Lande und ich sehr eng zusammenarbeiten.

Sie kandidieren gegen das seit einem Jahr angekündigte Co-Präsidium Edi Rosenstein und Arthur Braunschweig und sind seit Juni 2024 Präsidentin des Verbands Schweizerischer Jüdischer Fürsorgen (VSJF). Wieso jetzt und nicht für eine nächste Legislatur?
Eine Auswahl zu haben, finde ich grundsätzlich gut. Die ICZ ist seit Jahrzehnten mein Zuhause und ich möchte etwas an die Gemeinde zurückgeben. Ich komme aus der Mitte der Gemeinde – in religiöser wie gesellschaftlicher Hinsicht. Ich bin bereit, Verantwortung zu übernehmen, und möchte die ICZ in eine stabile und zukunftsorientierte Phase führen.

Gegenüber tachles online haben Sie nach Bekanntgabe Ihrer Kandidatur gesagt, die Zeit sei eine der grossen Herausforderungen, gerade mit Blick auf Nahost und die steigende Judenfeindlichkeit. Wie definieren Sie die Rolle der Gemeinde in dieser Situation?
Israel und die jüdischen Gemeinden in der Diaspora sind untrennbar miteinander verbunden – im Guten wie im Schwierigen. Deshalb müssen wir sorgfältig sein, wenn wir uns äussern. Wir können Israel nicht aus der Schweiz heraus erklären, wie Politik zu funktionieren hat. Gleichzeitig erleben wir den Druck von aussen, durch Medien, Behörden, Gesellschaft, und es gibt Momente, in denen es schlicht nicht möglich ist, zu schweigen.

Der ICZ-Vorstand, dem Sie angehören, hat im Mai ein Statement zur israelischen Politik veröffentlicht – und danach wieder zurückgezogen. Wie beurteilen Sie diesen Vorgang?
Wir standen damals unter starkem Druck – für ein Statement wie auch dagegen. Viele jüdische Gemeinden weltweit haben Ähnliches erlebt. Es ist eine permanente Gratwanderung. Wir wollten zur Besonnenheit aufrufen, aber wir mussten feststellen, dass die Polarisierung enorm ist.

Sie haben als Quästorin in der ICZ Finanzreformen eingeleitet. Einige sagen, die ICZ sei finanziell sehr gesund, andere warnen vor grossen Lücken. Wie sehen Sie die Lage?
Am Ende gilt die einfache Wahrheit: Man darf nicht mehr Geld ausgeben, als man hat. Die ICZ begleitet Mitglieder von der Geburt bis zum Tod. Diese Leistungen müssen finanziert werden – verantwortungsvoll und treuhänderisch. Wir haben Mitgliederbeiträge, Zuwendungen von Bund und Kanton sowie Spenden. Aber es braucht klare Prioritäten, eine langfristige Planung und eine effiziente Organisation.

Die Gemeindemitglieder sind älter geworden, die Demografie verschiebt sich. Viele Mitglieder nutzen das Bildungssystem der Gemeinde und treten danach aus. Wie gehen Sie damit um?
Wir müssen junge Menschen stärker an die Gemeinde binden. Viele möchten projektbezogen mitarbeiten, statt jahrelang in Kommissionen zu sitzen. Das finde ich zeitgemäss. Wir haben Fachleute in der Gemeinde – dieses Potenzial will ich viel stärker einbeziehen. Das schafft Identifikation und Verantwortung.

Der Zusammenhalt ist ein zentrales Thema. Auf dem Platz Zürich gibt es viele Minjanim, Chabad-Standorte, dezentrale Treffpunkte. Viele identifizieren sich stärker mit diesen Orten als mit der Löwenstrasse. Wie wollen Sie den Kern der ICZ stärken?
Durch Kommunikation, Transparenz und durch Stärkung des Solidaritätsprinzips. Eine jüdische Gemeinde kann nur stark auftreten, wenn sie viele Mitglieder hat. Je kleiner die Gemeinschaft, desto geringer ihr Einfluss. Solidarität bedeutet nicht Uniformität, sondern Verantwortung füreinander.

Herzstück jeder Gemeinde ist das Bildungsangebot. Die ICZ betreibt lediglich einen Kindergarten und subventioniert die Noam-Schule. Kritiker sagen: Eine Gemeinde dieser Grösse müsste eine eigene Schule führen. Wie sehen Sie das?
Die Zusammenarbeit mit der Noam funktioniert sehr gut. Wir subventionieren jährlich 470 000 Franken und könnten den gesamten Schulapparat gar nicht übernehmen – weder finanziell noch organisatorisch. Für uns ist wichtig, dass es ein jüdisches Bildungsangebot unter moderner orthodoxer Aufsicht gibt. An dieser Struktur sehe ich aktuell keinen Änderungsbedarf.

Viele Familien sagen, jüdische Bildung werde immer teurer. Rund die Hälfte der Schülerinnen und Schüler muss vom Stipendienfonds unterstützt werden. Wird jüdische Erziehung ein Luxus?
Vergleicht man die Preise mit privaten Schulen in Zürich, ist die Noam günstig. Aber natürlich zahlen die Familien zusätzlich ihre ICZ-Beiträge. Das ist eine Herausforderung – aber die Alternative wäre: keine jüdische Schule.

Im Moment arbeitet die Kommission zur Vision 2030 auch in diesen Bereichen. Wie soll die ICZ im Jahr 2030 aussehen?
Drei Dinge sind für mich zentral: Erstens jüdisches Leben in seiner Vielfalt unter dem modernen orthodoxen Rabbinat. Zweitens jüdisches Heimatgefühl – die Gemeinde muss ein sicherer Hafen sein. Drittens eine starke Stimme gegen Antisemitismus in der Öffentlichkeit. Das Fundament dafür sind drei Kernaufgaben: Jugend, Rabbinat und Friedhofswesen.

Die Steuerpolitik bleibt ein Reizthema. Der vor einigen Jahren eingeführte Plafond für Besserverdienende mit einer Steuerobergrenze von 25 000 hat keineswegs zu vielen Neumitgliedern geführt. Würden Sie ihn abschaffen?
Bevor man über eine Abschaffung spricht, muss man wissen, welche Auswirkungen das hätte: Wie hoch wären die Mehreinnahmen? Wie gross wäre das Risiko von Austritten? Man darf nicht ideologisch entscheiden, sondern auf Basis von Zahlen. Und es gibt Alternativen – etwa freiwillige Zusatzbeiträge.

Die anderen jüdischen Gemeinden auf dem Platz Zürich IRGZ, Agudas Achim oder etwa Or Chadasch halten sich mit politischen Äusserungen zu Nahost, Bührle-Sammlung und anderem eher zurück. Soll sich die ICZ unter Ihnen weiterhin so prominent einbringen?
Man kann das nicht pauschal beantworten. Jede Situation ist anders. Ich finde es falsch, im Voraus festzulegen, wie man reagieren wird. Man muss die Lage beurteilen – sachlich und verantwortungsvoll.

Wo ziehen Sie die Grenzen der Vielfalt: Die ICZ ist seit Monaten in dieser Frage gespalten, etwa zur Frage der Veranstaltungsnutzungen des Gemeindesaals. Namentlich Veranstaltungen von Forum Gescher oder New Israel Fund standen in der Kritik.
Wir haben eine klare Hausordnung. Wer sich daran hält, kann Räume nutzen. Eine Einheitsgemeinde muss unterschiedliche Meinungen aushalten – solange die Grundwerte respektiert werden.

Sie stammen aus einer Hoteliersfamilie. Das koschere Angebot in Zürich ist begrenzt, Catering für Sichmes in der ICZ ist teuer. Wie wollen Sie das allenfalls ändern?
Das Restaurant der ICZ ist verpachtet, aber wir stehen in engem Austausch. Wir prüfen Paketlösungen, damit Familien ihre Simches zu tragbaren Preisen feiern können. Koscheres Essen ist teuer – aber wir können Modelle entwickeln, die unterschiedlichen Budgets entsprechen.

Wenn Sie nicht gewählt würden, bleiben Sie im Vorstand?
Ja, selbstverständlich. Ich trete nicht zurück; ich werde weiterarbeiten.

Schaffen Sie ein Präsidium in der ICZ neben jenem des VSJF? Gibt es da keinen Interessenkonflikt?
Nein. Zeitlich ist es machbar – meine Vorgängerin Gabrielle Rosenstein war nebenher in einem 50–60-Prozent-Pensum berufstätig. Inhaltlich sehe ich keine Überschneidungen, die problematisch wären.

Wenn Sie eines der beiden Ämter abgeben müssten?
Diese Frage kann ich heute nicht beantworten. Beide Mandate liegen mir sehr am Herzen.

Yves Kugelmann