Im Gespräch 09. Aug 2025

«Sie haben hier einen Freund in der israelischen Botschaft»

Tibor Schlosser vor der Israel-Fahne in Bern
Seit diesem Monat vertritt Tibor Schlosser als neuer israelischer Botschafter die Interessen seines Landes in der Schweiz und in Liechtenstein.

Tibor Shalev Schlosser heisst der neue israelische Botschafter in der Schweiz und Liechtenstein – und bringt einen reichen Erfahrungsschatz aus den verschiedensten Ecken der Welt mit. Seit 1989 vertritt der sechssprachige Berufsdiplomat sein Land auf internationalen Bühnen, von Berlin und Rom bis zu den pazifischen Inselstaaten. Aufgewachsen in Israel und geprägt vom Gemeinschaftsleben im Kibbuz Gezer, hat er gelernt, auch in schwierigen Zeiten tragfähige Verbindungen zu schaffen. Mit tachles spricht er über seine ersten Eindrücke nach Amtsantritt von letzter Woche, seine Verbundenheit zur jüdischen Gemeinschaft und darüber, warum er sich in der politischen Kultur der Schweiz fast wie zu Hause fühlt. Die Depeche des Schweizer Aussenministeriums steht noch aus. Auf detaillierte Fragen zu den aktuellen Kriegshandlungen ging der Botschafter zum Zeitpunkt des Gesprächs nicht ein – stattdessen sprach er über Europa, Antisemitismus und künftige Perspektiven.

tachles: Herr Botschafter Schlosser, willkommen in der Schweiz! Wann sind Sie eingetroffen?
Tibor Schlosser: Ich bin am vergangenen Donnerstag gelandet. Schon am Freitag habe ich erste Kollegen getroffen und an Feierlichkeiten zum Nationalfeiertag teilgenommen. Seit Beginn dieser Woche bin ich nun im Arbeitsmodus.

Haben Sie Ihre ganze Familie mitgebracht?
Im Herzen sind sie alle bei mir, die meisten leben jedoch in Israel. Meine Frau wird mich wohl zeitweise begleiten, aber nicht dauerhaft hier sein. Wir sind eine grosse Familie – sechs Kinder und drei Enkelkinder, das vierte ist unterwegs. Da gibt es gute Gründe, warum nicht alle mitgekommen sind.

Sie kennen die Schweiz ja bereits – was waren nun Ihre Eindrücke bei Ihrer Rückkehr?
Ich habe bereits zwischen 2004 und 2008 in der Schweiz gearbeitet, damals allerdings mit deutlich weniger Berührungspunkten zur Schweizer Politik oder den Behörden. Als stellvertretender Missionsleiter an der Ständigen Vertretung Israels bei den Vereinten Nationen in Genf war ich vor allem im Menschenrechtsrat sowie in humanitären Fragen engagiert, im Austausch mit dem Roten Kreuz, der UNO und verschiedenen NGOs. Die Schweiz war mir also nicht fremd, es war eher ein Wiederankommen an einem vertrauten Ort. Dass ich an den “Tatort” zurückkehre, zeigt entweder, dass ich damals nicht erfolgreich war und es jetzt nochmal versuche – oder dass es wirklich grossartig war. Für mich und meine Familie gilt Letzteres: Wir haben uns in die Schweiz verliebt. Ich finde, es ist das schönste Land der Welt. Ich schätze auch den Lebensstil, die Art, wie man miteinander umgeht, vielleicht nicht immer überschwänglich freundlich, aber sehr korrekt. Man weiss stets, woran man ist. Auch das politische System mit seinem Konsensgedanken und den zahlreichen Abstimmungen ist mir als Mitglied eines Kibbuz in Israel sehr vertraut.

War die Vorbereitung auf Ihren neuen Posten demnach einfacher, weil Sie bereits wussten, was Sie in der Schweiz erwartet?
Ganz so einfach war es nicht. Zwar ziehen wir Diplomaten von Land zu Land, aber mein letzter Umzug liegt viele Jahre zurück und mein erster Aufenthalt hier ist fast zwanzig Jahre her. Vieles habe ich vergessen, manches hat sich verändert. Ich musste einiges neu lernen und herausfinden, wie ich Israel hier bestmöglich vertreten kann.

Was haben Sie sich denn für die ersten Monate vorgenommen?
Im Grunde geht es am Anfang vor allem darum, Menschen kennenzulernen und Kontakte zu knüpfen. Mir ist wichtig, unsere Freunde zu treffen und ihnen dieselbe Unterstützung zu geben, die sie uns entgegenbringen. Neben meinen Kolleginnen und Kollegen im EDA möchte ich Menschen aus allen Bereichen des Schweizer Lebens kennenlernen, aus Wirtschaft, Kultur und besonders aus der jüdischen Gemeinschaft. Sie ist hier sehr vielfältig, von Chabad und orthodoxen Gemeinden bis zu säkularen Formen, und auch viele Israelis leben in der Schweiz. Diese kennenzulernen ist meine wichtigste Aufgabe in der ersten Phase.

Welche Rolle spielt die jüdische Gemeinschaft in den bilateralen Beziehungen zwischen Israel und der Schweiz?
Die Verbindung zwischen Israel und der Diaspora ist für mich grundlegend – ihre Stärkung ist ein Muss. Für mich sind die Juden in der Schweiz Brüder und Schwestern. Und als Familie haben sie die wichtige Rolle, Israel zu unterstützen und zu verteidigen, wenn es nötig ist, was oft keine einfache Aufgabe ist. Auch wenn die Nähe zu Israel unterschiedlich stark ausgeprägt ist, bleibt die jüdische Gemeinschaft ein zentraler Pfeiler der bilateralen Beziehungen.

Kürzlich hat eine Gruppe israelischer Expats in der Schweiz einen Brief an Bundesrat Ignazio Cassis geschickt. Darin fordern sie, dass die Schweiz mehr gegen den Krieg in Israel und das Leid in Gaza unternimmt. Was sagen Sie dieser Gruppe?
Ich persönlich halte ihre Position für falsch, würde ihnen aber niemals das Recht absprechen, sie zu äussern. Wir leben in einer Demokratie – jeder darf seine Meinung sagen, und ich darf darauf reagieren. Ihr Vorgehen hilft jedoch nicht bei unserer dringendsten Aufgabe: unsere Geiseln zurückzubringen. Hamas muss überzeugt werden, dass ihre einzige Chance zu überleben darin liegt, die Waffen niederzulegen. Das ist die Voraussetzung für einen Waffenstillstand und vielleicht für Frieden. Druck auf Israel hilft dabei nicht, im Gegenteil: Er erschwert eine Einigung mit der Terrororganisation.

Bei der UNO-Konferenz kürzlich hat die Schweiz diplomatische Schritte in Richtung Zweistaatenlösung gefordert. Beeinflusst das die bilateralen Beziehungen?
Die Schweiz hat ihre Position zur Zweistaatenlösung, wie viele andere Länder auch. Wir in Israel halten dies derzeit jedoch für den falschen Zeitpunkt, schon gar nicht als „Belohnung“ für das Massaker vom 7. Oktober 2023. Erst nach einem Waffenstillstand und einem Wiederaufbau wird man sehen können, was möglich ist. Im Moment ist ein palästinensischer Staat nicht lebensfähig; um das überhaupt zu besprechen, müssten bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Jetzt ist nicht der Moment – und ich glaube, dass auch die Schweiz das erkennt.

Der geplante Drohnenkauf der Schweiz beim israelischen Rüstungskonzern Elbit ist erneut in die Kritik geraten – wie beurteilen Sie die Situation aus israelischer Sicht?
Die israelische Verteidigungsindustrie ist erstklassig, und unsere Luftabwehrfähigkeiten haben sich bei den jüngsten Angriffen aus dem Iran über alle Erwartungen hinaus bewährt. Elbit ist eines der führenden Unternehmen auf diesem Gebiet, und wir begrüssen selbstverständlich seine Beziehungen zur Schweiz und hoffen, dass sich diese Partnerschaft auch in Zukunft fortsetzt und weiterentwickelt.

Wie bewerten Sie das wirtschaftliche Potenzial in den Beziehungen zwischen der Schweiz und Israel?
Ich sehe da enormes Potenzial, nicht nur in sicherheitspolitischen oder klassischen Handelsbereichen, sondern insbesondere in Zukunftsfeldern wie Innovation, Digitalisierung, Biotechnologie und Foodtech. Da können beide Länder erheblich voneinander profitieren. Gleichzeitig ist diese Partnerschaft bereits gelebte Realität: Die Schweiz exportiert deutlich mehr Waren nach Israel, während Israel mehr Software in die Schweiz liefert, ein Austausch, der sich fast ausgleicht. Gerade in schwierigen Zeiten hoffe ich, dass all jene, die sich für diese Zusammenarbeit engagieren, ihre wichtige Aufgabe fortsetzen.

Wie sehen Sie den derzeitigen Anstieg des Antisemitismus in Europa und welche Erwartungen haben Sie diesbezüglich an die Schweiz?
Antisemitismus ist eine uralte Krankheit, die heute oft als Antizionismus auftritt und dadurch vermeintlich legitim wirkt. Wir kennen die Folgen – aus den Pogromen des 19. Jahrhunderts in Russland, Polen und auf der Krim und wir wissen, wie das schliesslich in Deutschland während des Zweiten Weltkriegs endete. Das wiederholte sich am 7. Oktober 2023 auf brutale Weise, nicht mit einem Krieg im Sinne der Genfer Konventionen, sondern mit einem furchtbaren Massaker. Babys wurden in ihren Betten ermordet, Frauen systematisch vergewaltigt, gefoltert und dann getötet – damit sie nicht erzählen konnten, was man ihnen angetan hatte. Menschen wurden enthauptet, Familien bei lebendigem Leib verbrannt, Kinder wurden vor den Augen ihrer Eltern ermordet, oder umgekehrt. Und dann wurden 251 Menschen nach Gaza verschleppt, um die fünfzig sind noch dort, hoffentlich zwanzig davon noch am Leben. Das war kein Antizionismus oder “Krieg gegen Israel”. Das war purer Antisemitismus.
Für mich ist klar, dass die Schweiz und die Bevölkerung vor allem durch Bildung helfen kann. Das ist auch unser Appell an die Palästinensische Autonomiebehörde und an UN-Organisationen, die in Gaza tätig sind – Bildung ist entscheidend. Wenn man sich etwa UNRWA ansieht, das Bildungssystem und die Lehrpläne dort, wird deutlich: Wenn man Menschen zur Judenfeindlichkeit und Hass erzieht, dann verhalten sie sich auch dementsprechend. In der Schweiz gibt es bereits gute Initiativen, meine Vorgängerin Ifat Reshef hat hier mit den Behörden und der jüdischen Gemeinschaft tolle Arbeit geleistet. Aber der Kampf gegen Antisemitismus muss weitergehen. Und ich werde die Schweizer Behörden darin nach Kräften unterstützen. Für mich ist das eines der wichtigsten Ziele meines Einsatzes hier.

Gibt es dafür eine geplante Zusammenarbeit mit jüdischen Organisationen?
Natürlich. Das muss gemeinsam mit den Schweizer Behörden aber auch mit der jüdischen Gemeinschaft geschehen, etwa mit der sehr aktiven Gesellschaft Schweiz-Israel. Antisemitismus ist eine tägliche Herausforderung, genau wie die Demokratie. Viele junge Menschen glauben, Demokratie sei selbstverständlich. Aber Europa sah vor wenigen Jahrzehnten ganz anders aus. Demokratie ist nichts Gegebenes, wir müssen sie täglich schützen und verteidigen.

Was wünschen Sie der jüdischen und der israelischen Gemeinschaft in der Schweiz zu Beginn Ihrer Amtszeit?
Ich wünsche ihnen vor allem alles Gute zum bevorstehenden Rosch Haschana und ein friedliches und erfolgreiches neues Jahr. Mein Wunsch ist auch, dass die Geiseln bald zurückkehren, die Lebenden ebenso wie die Toten. Ich hoffe, dass der Krieg bald hinter uns liegt und die notwendigen Voraussetzungen dafür erfüllt werden. Und eines möchte ich ganz deutlich sagen: Sie haben hier einen Freund und Bruder, der in der israelischen Botschaft in der Schweiz für Sie da ist. Ich werde mein Möglichstes tun, um die Beziehungen weiter zu pflegen, die meine Vorgängerinnen und Vorgänger mit so viel Sorgfalt aufgebaut haben.
 

Emily Langloh