Ruvik Danilovich, Bürgermeister von Beer Scheva, warnt eindringlich vor den demographischen Verschiebungen im Süden Israels – und sieht darin eine Gefahr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt des Landes.
In einem ungewöhnlich deutlichen Appell fordert Ruvik Danilovich von der Regierung ein strategisches Konzept für die Entwicklung der Negev-Region.
Der Süden Israels steht an einem Scheideweg. Ruvik Danilovich, langjähriger Bürgermeister von Beer Scheva, schlägt Alarm: Die jüdische Mehrheit in der Negev-Wüste sei gefährdet. In einem offenen Brief und mehreren Interviews macht Danilovich auf eine Entwicklung aufmerksam, die seiner Einschätzung nach nicht nur Beer Scheva betrifft, sondern das gesamte geostrategische Gleichgewicht Israels infrage stellt.
Beer Scheva , häufig als «Hauptstadt des Negev» bezeichnet, verliert an Attraktivität – insbesondere für junge jüdische Familien. Trotz massiver Investitionen in Bauprojekte stagniert die Bevölkerungszahl, während zentrale Regionen Israels weiterhin stark wachsen. Ende 2023 zählte die Stadt rund 219’000 Einwohner – ein leichter Rückgang im Vergleich zum Vorjahr.
«Ich habe mehrere Premierminister gefragt, wie sie sich den Negev 100 Jahre nach der Staatsgründung vorstellen. Eine Antwort habe ich nie erhalten», kritisiert Danilovich. Vor allem die Abwanderung gut ausgebildeter jüdischer Fachkräfte ins Zentrum Israels bereitet ihm Sorge. Dagegen verzeichnen sowohl die Beduinen-Gemeinschaften als auch die ultraorthodoxe (Haredi) Bevölkerung deutliche Zuwächse in neuen Siedlungen und Stadtteilen. Prognosen sprechen davon, dass in etwa 20 Jahren nur noch 18 Prozent der neuen Wohnsitze im Negev von nicht-haredischen Juden bewohnt sein könnten.
Der Bürgermeister sieht eine zentrale Ursache in der fehlenden kohärenten Planung der Region. Unkoordinierte Städteplanung, fehlende Verkehrsanbindung, mangelnde wirtschaftliche Anreize und das Fehlen attraktiver Freizeitangebote machten den Negev für viele unattraktiv. Staatliche Fördermassnahmen und sogar die Verlagerung militärischer Einrichtungen hätten bislang nicht ausgereicht, einen nachhaltigen Wandel herbeizuführen.
Stadtplaner wie Nurit Alfasi von der Ben-Gurion-Universität in Berschwa sehen die Misere auch in der Baupolitik begründet: «Es entstehen Wohnkarrees ohne Charme, Identität oder funktionierender Infrastruktur.» Anstatt auf integrierte urbanistische Konzepte zu setzen, werde kleinteilig geplant – jede Stadt für sich, ohne übergeordnetes Leitbild.
Danilovich verlangt nun ein umfassendes, langfristiges Konzept: «Was soll aus einem Gebiet werden, das 60 Prozent der Landesfläche umfasst?» Ohne strategisches Handeln drohe nicht nur eine demographische Verschiebung, sondern eine strukturelle Schwächung der gesamten südlichen Region – mit weitreichenden sozialen und politischen Konsequenzen.