Perspektiven des Nahost-Experten Vali Nasr zum laufenden Konflikt.
In einem halbstündigen Interview mit der Plattform «Zeteo» gibt mit dem Historiker Vali Nasr ein eminenter Kenner Irans und des Nahen Ostens Hintergründe und Perspektiven zu dem Schlagabtausch zwischen Iran und Israel, der mit «Präventiv-Angriffen» Israels am Donnerstag begonnen hat. Nasr lehrt an der Johns Hopkins University und stammt aus einer prominenten Gelehrtenfamilie im Iran. Er war zudem in der Obama-Ära Berater des US-Aussenministeriums.
Nasr stuft Israels Behauptung, «präventiv» angegriffen zu haben als «politisches Gerede» ein. Israel sei vielmehr «nach dem Gaza-Krieg in einer triumphalen Stimmung über seine eigenen militärischen Fähigkeiten. Schon vor den Anschlägen vom 7. Oktober tendierte Israel dazu, alle Sicherheitsprobleme militärisch zu lösen.» Dies sei jetzt noch stärker der Fall: «Vielleicht hätten andere Länder in seiner Lage dasselbe getan. Israel hat Gaza offensichtlich pulverisiert. Es hat die Hisbollah weitgehend dezimiert.» Nun habe Israel Angriffen auf Iran ein geringes Risiko beigemessen, denn die Islamische Republik sei durch die Zerschlagung der Alliierten gelähmt und verfüge nicht «über ein wirkliches Abschreckungs-Potential wie Nordkorea – ein robustes Atomprogramm, das sich nicht einfach durch Luftangriffe ausschalten lässt.»
So schien die Lage günstig für Angriffe, die letztlich nicht allein das Atomprogramm, sondern die Islamische Republik insgesamt zerstören sollten, so Nasr. Allerdings sei Trump nicht von dieser Idee überzeugt gewesen. Der US-Präsident habe das Risiko eines viel grösseren Krieges gesehen, den die USA dann für Israel führen müssten. Tatsächlich melden Axios (https://www.axios.com/2025/06/14/israel-iran-war-us-nuclear-program-tru…) und andere Medien, dass Israel und Unterstützer des jüdischen Staates in den USA nun Trump zu einem Eintritt in den Krieg an der Seite Israel drängen.
Aber wie Nasr notiert, lehnt ein erheblicher Teil der MAGA-Anhängerschaft Kriege in Übersee ab. So plädiert Steve Bannon dafür, dass «Israel seine Kriege alleine ausficht». Doch die Erfolge Israels gegen seit Donnerstag hätten Trump laut Nasr dazu bewegt, den dadurch entstandenen Druck auf Iran auszunutzen: «Er wird Krieg als Diplomatie einsetzen.» Dies aber sei bereits Teil des israelischen Kalküls gewesen.
Daraus rühre eine anhaltende Spannung zwischen den Zielen Trumps und Israel. Dazwischen stehen laut Nase die arabischen Golfstaaten als unmittelbare Nachbarn Irans. Diese sähen sich nicht allein durch die Kampfhandlungen bedroht, die unweigerlich auf ihre Wirtschaft, ihre wirtschaftliche Entwicklung und ihren Dienstleistungssektor durchschlagen würden: «Einen sauberen Krieg mit dem Iran gibt es nicht. Deshalb sind sie nervös.… Deshalb unterstützen sie ein Atomabkommen, weil sie keinen Krieg in ihrer Nachbarschaft wollen.»
Dahinter liege jedoch wachsende Nervosität angesichts «der Vorstellung, eine Supermacht im Nahen Osten namens Israel zu haben. Denn Israel geht bereits aus dem Gaza-Krieg als militärische Übermacht hervor, die keine Grenzen kennt». Israel sei sich der Grenzen seiner militärischen Fähigkeiten nicht bewusst, dass es weder von den Europäern noch von den Amerikanern gebremst wird: «Und wenn Israel den Iran besiegt, hätten es die Araber mit einer israelischen Supermacht zu tun.» Den Arabern hätte zwar eine iranische Hegemonie nicht behagt. Aber eine Dominanz Israels sei noch problematischer: «insbesondere angesichts des Gaza-Krieges und der Stimmung in den eigenen Bevölkerungen.»
Verschärft werde diese Nervosität noch durch die Natur des nun von Israel angestrebten «Regime-Wechsels». Denn während Washington den Einmarsch im Irak 2003 mit der Einführung einer demokratischen Ordnung begründet habe, sei es Israel damals und in jüngster Zeit «nicht darum gegangen, wer Assad oder die Hisbollah ersetzen soll. Es geht Israel allein darum, ein als feindselig betrachtetes Regime zu stürzen.» Deshalb habe Netanyahu Amerika seinerzeit zum Krieg gegen Saddam geraten: «Aber wer Saddam ersetzt hat, interessiert Israel nicht wirklich.»
Israels Aussenpolitik sei in gewisser Weise «purer als die der USA, weil die USA sich ständig in Demokratie und Menschenrechten verlieren. Und das verkompliziert die Dinge. Die Israelis haben ein viel klareres Verständnis ihrer nationalen Sicherheit. Nationale Sicherheit – sie sind ein kleines Land inmitten von 200 Millionen Arabern. Es sollte in der Region keine Macht geben, die sie ernsthaft bedroht».
Gebe es eine solche, sollte diese zerstört werden. Damit stellt sich laut Nasr nun die Frage für Israel, ob das Regime in Teheran tatsächlich zerstört werden kann: «Israels Sorge besteht weniger in der Frage, wer die Islamische Republik im Iran ersetzen wird, sondern vielmehr die Tatsache einer real existierenden Bedrohung in Gestalt des Regimes in Teheran.» Denn dieses sei «eine kohärente militärisch-politische Kraft, die eine regionale Herausforderung für Israel in Form der Hisbollah, der Houthis, der Hamas usw. organisieren kann; die in der Lage ist, ballistische Raketen zu bauen, die Israel erreichen können; und die in der Lage ist, eine massive Nuklearindustrie aufzubauen, die sehr leicht Atomwaffen produzieren kann.»
Wer oder was die Islamische Republik ersetzen könne, mache Israel jedoch keine Sorge: «solange dies nicht dieselbe Bedrohung für Israel darstellt» (Link).