das jüdische logbuch 26. Aug 2022

Visionslose Pflicht statt inspirierte Kür

Basel, August 2022. Die Strassenszenen mit Absperrungen, Sicherheitskorridoren und viel Militärmaterial erinnern an das Treffen der Aussenminister und Delegierten der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa im Dezember 2014 in Basel. Damals standen die politischen Spannungen zwischen dem Westen und Russland im Zentrum und Basel im Interesse. US-Aussenminister John Kerry sprach mit Konferenzleiter Bundesrat Didier Burkhalter über den Konflikt in der Ukraine. Russlands Aussenminister Sergej Lawrow wollte den Ministern die Schaffung einer Freihandelszone zwischen der EU und der von Moskau geplanten östlichen Zollunion präsentieren. 3600 Soldaten und 1000 Polizisten sicherten die Stadt für die rund 57 Teilnehmerstaaten. Und natürlich gab es auch Gegendemos. Acht Jahre später formiert sich ein ähnliches Bild mit Gittern, Polizei, Militär. Doch wofür eigentlich: Die Liste der Abwesenden ist um ein Vielfaches prominenter als jener der Teilnehmer am Jubiläum von Montag zu 125 Jahre Zionistenkongress, das in den letzten Wochen permanent Schlagzeilen zum Thema Organisationschaos und Gegendemos statt Inhalt macht. Statt Staatsgästen und Prominenz findet ausser ein paar Schweizer Politikern, Delegierten und Referenten kaum jemand den Weg nach Basel. Nicht einmal Bundespräsident und Aussenminister Ignazio Cassis kommt, sondern Wirtschaftsminister Guy Parmelin. Aus der internationalen jüdischen Welt fehlen bis auf Ariel Muzicant, Präsident des Europäischen Jüdischen Kongresses (vgl. Seite 12), und ein paar CEOs an der Konferenz von Sonntag und Montag so ziemliche alle wichtigen Exponentinnen und Exponenten aus Kultur, Politik, Zivilgesellschaft. Hinter den Kulissen herrscht Kommunikationschaos über Sicherheit und verschobene Veranstaltungen. Das teils fragwürdige und unübersichtliche Organisationsgebaren der World Zionist Organization, der Partner Basel-Stadt, Schweizerischer Israelitischer Gemeindebund, der israelischen Botschaft Bern auf allen Ebenen bis zu Akkreditierungen sorgt für Unmut und erinnert an verwelktes Bürokratentum. Das Programm für die Montagsgala wurde im letzten Moment fixiert, bis zuletzt mehrfach über den Haufen geworfen, Künstlerinnen und Künstler sowie Serviceprovider ein- und ausgeladen, die Kommunikation mit der Stadtbevölkerung oder Journalisten tendiert gegen null. Viel Ärger macht sich in diesen Tagen in Basel breit und offene Fragen: Weshalb nutzen die Organisatoren den Anlass nicht für Brillanz, Exzellenz, weshalb versteckt sich die A-Liga der internationalen jüdischen Gemeinschaft vor dem Jubiläum und sagt die Teilnahme unter fadenscheinigen Ausreden ab? Weshalb reduziert sich ein Schabbat in Basel mit allen historischen Bedeutungen auf einen Kiddusch in der Gemeinde statt ein grosses Freitagabendessen und Schabbat-Event zu werden?

Da war doch was in Basel und der Schweiz, als sich an den Zionistenkongressen die wichtigsten jüdischen Repräsentanten aus aller Welt vereinten, rund 50 Jahre auf höchstem Niveau debattierten. Ebenso die Jubiläen zu 75 und 100 Jahren Zionistenkongress: Die Welt versammelte sich in Basel und zelebrierte stolz Geschichte und Realitäten, es gab Ausstellungen, hochwertige Rahmenprogramme, Buch- und andere Publikationen, Kulturprogramme und offene Diskussionen. In diesem Jahr steht schon vor der Feier fest: das Jubiläum zum 125. ist ein müder, aber über 6 Millionen Franken teurer Abklatsch von einst. Unmut zeigt sich auch im Gespräch mit mehreren ausländischen Delegierten, die sich gegenüber tachles enttäuscht über Organisation und Thema etwa der Konferenz von Sonntag und Montag zeigen. Hightech und Leadership statt wichtige offene Fragen zu Judentum, Zionismus, Israel, Herausforderungen für die jüdischen Gemeinschaften weltweit. Denn genau das waren die Zionistenkongresse von einst: die Plattform für die Verhandlung der jüdischen Zukunft. Inhalt durch Exzellenz statt Pflichtübungen von Funktionären. Die Pioniere von einst und das real existierende Israel hätten Besseres verdient in Erinnerung an Leistungen, die heute nicht vermittelt werden. Schade und wieder einmal eine verpasste Chance.

Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.

Yves Kugelmann