Frankfurt a. M., Oktober 2019. Herbsttage zwischen Sukkot und Schemini Azeret inmitten politischer Verwirrungen von Brexit, türkischen Syrieninterventionen nach dem US-Truppenabzug und weltweiten Protestbewegungen.
Die diesjährige Frankfurter Buchmesse präsentiert sich engagiert und verhandelt die drängenden Themen der Gegenwart: Systemfragen, Klimaherausforderungen, soziale Bewegungen und Umlagerungen, die extreme politische Rechte von Europa bis zu den USA. Es ist die Messe, die nicht nur in der historischen Tradition steht, sondern Gegenwart anpackt und Zukunft verhandelt. Gerade deutsche Verlage wie etwa in diesem Jahr wieder Suhrkamp oder S. Fischer zeigen mit einem profilierten Programm, was es in Zeiten gesellschaftlicher Verhärtung und Beschränkungsversuche medialer öffentlicher Diskussionen bedeutet, Themen zu setzen, aufzuklären und Utopien zu formulieren. Es sind eben auch immer wieder die Referenzen an die vielleicht bewältigte, aber immer wieder vergessene Vergangenheit Europas, die noch bis vor 75 Jahren totalitär war. Kausalitäten kontrastieren eine schamlose Rechte, die negiert, verschwört und lügt. Die drängenden Themen sind in Verhandlung und wie kaum ein anderer Ort der Res publica ist die Frankfurter Buchmesse nach Jahren der Krisendebatten der Buch- und Medienbranche wieder dort angekommen, wo sie sein muss: in der Mitte der Gesellschaft und der Debatten. Dass die Messe mit einem Besucherrekord und einem regelrechten Ansturm von jugendlichen Besucherinnen und Besuchern aufwarten konnte, zeigt einmal mehr, dass eine hoch politisierte neue Generation bereits die Zepter übernommen hat, die gestrige Parteipolitiker so leicht nicht übergeben wollen. Diese neue Generation ist relevant, obwohl viele sie plattreden möchten. Sie nutzt zugleich Plattformen der Freiheit, die über Jahrzehnte gerade durch die Medien- und Buchindustrie mit dem Bewusstsein für Europas Geschichte etabliert wurden. Und so traf die Nachricht vom Tode der S.-Fischer-Verlegerin Monika Schoeller am Donnerstag der Buchmesse viele wie ein Schock. Über 50 Jahre lang hat sie eine Bastion der Freiheit aufgebaut und den Dialog gerade zwischen Israel und Deutschland mit ihrem Engagement für die Jerusalemer Buchmesse, für jüdische und israelische Autorinnen und Autoren ermöglicht und gefördert. Mit ihr hat die Verlagswelt eine der letzten grossen Verlegerinnen verloren und eine Garantin für Freiheit, die noch viele Jahrzehnte nachwirken wird.
Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.
Das Jüdische Logbuch
25. Okt 2019
Traurige Dialektik der Freiheit
Yves Kugelmann