Das Jüdische Logbuch 29. Nov 2019

Spalenberg ohne Krieg? Relevantes Palaver!

Basel, November 2019. «Am Säggsi noch em Krieg im Krueg, gäll Miisli», ruft HD Läppli beim Verlassen der Militärgefängniszelle seinem Freund zu und tritt in den Hilfsdienst bei der Generalmobilmachung im Zweiten Weltkrieg ein. Es ist oft die banale Absurdität und die Satire, die ins Schwarze treffen, komplexe Zusammenhänge besser darstellen als andere Erklärungsversuche. Erstmals nach 30 Jahren bringen die Enkel von Alfred Rasser die legendäre Figur HD Läppli wieder auf die Bühne. Nicht aus falscher Nostalgie – sondern zum richtigen Zeitpunkt. Die beiden Leiter des Theaters Fauteuil Caroline und Claude Rasser hätten diesen Schritt mit sicherem Erfolg schon vor Jahren tun können. Doch sie tun es jetzt in politischen Zeiten geradezu als Widerstand eines engagierten Theaters Fauteuil, das immer wieder für politische Satire und gesellschaftspolitisch engagierte Stücke stand und steht. Und so ist schon die Eröffnungsszene des weitgehend unveränderten Originalstück eine Persiflage auf die «Führer» der Gegenwart, wenn Miisli und Theophil Läppli in der Baiz Krug über Hitler sinnieren und damit einen deutschen Bahnvorsteher zur Weissglut treiben, an und über Grenzen gehen, Augen öffnen und mit scharfem Humor persiflieren, verpackt in naive Tschumpelei. Alfred Rassers Stück mit dem Originaltext der Erstaufführung ist zeitlos – weil sich die Mächtigen, die Demagogen, die Populisten letztlich nicht ändern und die Mechanismen der totalitären Verführung immer wieder die gleichen sind – in Diktaturen und eben auch in Demokratien.

Die aktuelle Inszenierung von HD Läppli besticht in ihrer Originalität im wahrsten Sinne des Wortes. Die Entstehung des Textes für die Bühnenfassung unmittelbar nach dem Krieg 1945 bleibt nicht in der Zeit stehen, sondern hat Gültigkeit bis heute. So wie es grosse, bedeutende Werke auch tun: Sie sind nicht ihrer Zeit geschuldet, sondern ragen weit in die Zukunft und werden mitunter noch relevanter, wie Picassos «Guernica», Shake­speares «König Lear», Kafkas «In der Strafkolonie» und viele andere. Das Stück am Basler Spalenberg überzeugt nicht nur durch die schauspielerische Leistung, eine brillante Inszenierung und tolle Regie, sondern eben auch durch den permanenten Fingerzeig eines Alfred Rassers, der in wahrhaftigen Sätzen, in der Art seines Widerstands, der Zivilcourage seiner Figur und der fortwährenden Gültigkeit seines Textes permanent aufflackert. Als Läppli vor 30 Jahren mit Roland Rasser in der Hauptrolle am Fauteuil ein Comeback feierte, dann wiederum in politischen Zeiten in der Debatte rund um die Initiative zur Abschaffung der Schweizer Armee im Jahre 1989. Die Abstimmungs­initiative spaltete die Geister im Jahre der Wende, dem Fall der Mauer und dem Ende des Kalten Krieges. HD Läpplis Kritik an der Armee, hinterfragte postum Sinn und Unsinn von Krieg oder militärischen Strukturen. Was Max Frisch im Prosatext «Schweiz ohne Armee – ein Palaver» exerzierte, führten Rassers damals ebenso richtig und gezielt wie heute vor, wenn Läppli die Zeit und ihre Mächtigen erneut vorführt – und dies wohl auch in 30 Jahren wieder tun wird. Ein Muss ist das Stück auf jeden Fall und ein Augenöffner allemal.

Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.

Yves Kugelmann