Frankfurt, September 2025. Die Musik-Komödie «The Blues Brothers» ist remastered und läuft auf Grossleinwand. Der Film zeigt eine turbulente Reise durch die Musik- und Bürgerrechtskultur der USA. Neben legendären Blues- und Gospelauftritten kämpfen die Brüder dabei humorvoll auch gegen Neonazis und stellen sich für Gleichheit, Solidarität und Bürgerrechte auf die Seite der Unterdrückten. Sie persiflieren das Post-McCarthy-Amerika, und im Kontext der aktuellen Rückabwicklung der USA ist der Stoff ebenso witzig wie brisant.
«Wir sind im Auftrag des Herrn unterwegs», lautet ihr Credo, um für ihre einstige Leiterin des Waisenhauses 5000 Dollar zu sammeln, die sich als Steuerschulden des Heims angesammelt haben. Ein weltlicher Auftrag, der sich am nächsten Tag in der Frankfurter Morgensonne in der Frankfurter Paulskirche spiegelt. Sie gilt als Wiege der deutschen Demokratie – und hat diese vor dem Faschismus nicht bewahrt. Hier trat 1848 die erste frei gewählte Nationalversammlung zusammen, um eine Verfassung und Grundrechte zu schaffen. Heute ist sie ein Symbol für Freiheit, Menschenwürde und den demokratischen Neuanfang nach 1945 – und ein Mahnmal gegen die Unfreiheit.
Eine weltliche Kirche wider göttliche Aufträge, was sich am Vorabend zu Rosch Haschana im Kontext der Eskalationen in den USA oder im Nahen Osten nochmals anders liest. Hoffende Menschen werden oft blind für das, was geschieht. Doch jährlich wird die Hoffnung an Rosch Haschana zum Jahreswechsel angerufen.
Was aber, wenn Gewitterwolken am Himmel Gewitterwolken, wenn Sturmwarnungen Sturmwarnungen, trügerische Sonnenuntergänge trügerische Sonnenuntergänge oder die Dekonstruktion der Demokratien Dekonstruktion von Demokratien und nichts anderes sind?
Die Lehrsätze für den Faschismus sind bekannt und lesen sich nach acht Monaten Trump wie ein kleines Déjà-vu: Demokratische Institutionen schwächen, Justiz und Verfassung aushöhlen. Unabhängige Gerichte werden durch parteitreue Richter ersetzt. Notstandsgesetze und Verfassungsänderungen geben der Regierung mehr Macht, Checks and Balances werden abgebaut. Parlamente, etwa in Bundesstaaten, werden entmachtet, die Opposition wird durch Geschäftsordnungen oder Gesetze systematisch blockiert, wichtige Entscheidungen werden per Dekret oder Notstandsbefugnissen durchgesetzt.
Feindbilder werden geschaffen und als Sündenböcke identifiziert. Minderheiten, Migranten, religiöse Gruppen oder politische Gegner werden als Gefahr dargestellt. «Wir gegen sie»-Rhetorik, der Volkskörper und der Volksfeind werden angerufen. Die mediale Dauerpropaganda folgt, während die Freiheit der Medien, Wissenschaft und Kultur geschwächt und letztlich alles dekonstruiert und Willkür eingeführt werden. Was einst staatliche oder gleichgeschaltete Medien an Feindbildern und Hassnarrativen verbreiteten, wird heute über Plattformen verbreitet.
Das vermeintliche Establishment und die politische Klasse werden diskreditiert, die Kontrolle über Medien langsam übernommen, Pressefreiheit eingeschränkt. Kritische Journalisten werden eingeschüchtert, kriminalisiert oder ausgeschlossen. Zensur und Propagandakanäle verbreiten die Regierungslinie.
Desinformation: Systematisch werden Falschinformationen eingestreut und Verwirrung gestiftet. Wissenschaft, Fakten und unabhängige Berichterstattung werden diskreditiert.
Gewalt wird monopolisiert, das Militär gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt, paramilitärische Gruppen, Milizen oder extrem loyale Polizeieinheiten gegründet. Freiheitsrechte – und somit Proteste, Versammlungsfreiheit – werden stückweise abgeschafft. Demonstrationen werden kriminalisiert.
Es wird Angst erzeugt, permanente Krisenrhetorik: Wirtschaftskrise, innere Bedrohung, äussere Feinde. Gegenseitiges Misstrauen wird geschaffen und Denunziationssysteme oder Überwachung werden aufgebaut.
Die Sprache wird manipuliert, Wahlrecht untergraben – und je länger, desto mehr ein charismatischer Anführer eingesetzt, noch bevor die totalitäre Kontrolle folgt, dann erfolgt die komplette Unterwerfung und endgültige Ausschaltung der Opposition.
Was in Italien und Deutschland im letzten Jahrhundert funktionierte, spielt sich in diesen Jahren mit unterschiedlichen Dosierungen in Ungarn, Russland oder der Türkei, in Israel und namentlich in den USA ab.
Das Vertrauen in die Demokratie wird unterwandert, Populismus, Propaganda und Demagogie werden gezielt eingesetzt.
Während Trump in den Bundesstaaten die Nationalgarde auffahren lässt, sagt Hauptdarsteller Elwood beim Konzert der Blues Brothers:
«Der Einsatz von Gewalt gegen Bürger von Illinois ist hiermit verboten.» Und er setzt seinen musikalischen Kampf gegen Gewalt und für Freiheit fort.
Primo Levi schreibt in «Ist das ein Mensch»:
«Jeder von uns ist Richter und Angeklagter zugleich. Wir sprechen das Urteil über uns selbst durch unser Handeln – Tag für Tag.» Das Prinzip Hoffnung ist keines für das angehende Jahr. Die Menschen und damit auch die jüdische Gemeinschaft müssen wieder zur Emanzipation zurückfinden und Weichenstellungen vornehmen, die sie zu lange falschen Göttern und richtigen Funktionären überlassen haben. Denn letztlich sind Verfassungen «das Buch des Lebens» in das jene eingschrieben sind, die sie schützen und respektieren.
Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.
das jüdische logbuch
19. Sep 2025
Rosch Haschana Blues
Yves Kugelmann