Paris, Dezember 2025. Das überdimensionierte Porträt von Robert Badinter leuchtet in den dunklen, klaren Nachthimmel, erhellt von den unzähligen Weihnachtsbäumen auf dem Vorplatz. Im Oktober wurde er in einer feierlichen Zeremonie von Präsident Emmanuel Macron verabschiedet und sein Name im Panthéon eingegliedert. Frankreich hat eine andere Erinnerungskultur; die Vergangenheit schwingt überall mit – zwischen Nostalgie, Überhöhung oder Mythologisierung –, auf jeden Fall wird sie respektiert, und oft werden jene geehrt, die der Republik gedient oder sich um ihre Kultur verdient gemacht haben. Herkunft, Religionen und Ethnien treten in den Hintergrund und die gelebte Laizität in den Vordergrund.
Robert Badinter (1928–2024) entstammte einer rumänisch-jüdischen Familie, die in den 1920er-Jahren nach Frankreich emigrierte. Sein Vater Simon Badinter wurde 1943 von der französischen Polizei verhaftet, interniert, deportiert und im Vernichtungslager Sobibor ermordet – ein traumatisches Ereignis, das Badinters späteres Engagement für Menschenrechte nachhaltig prägte. Badinter wuchs mit dem Bewusstsein auf, französischer Jude zu sein, und reflektierte zeitlebens die doppelte Verwurzelung in republikanischen Werten und einer von Verfolgung gezeichneten Familiengeschichte. In seinen Memoiren sprach er offen über Antisemitismus in Frankreich vor, während und nach der Shoah sowie über die moralische Verpflichtung, daraus politisch und juristisch Konsequenzen zu ziehen.
Seinen Kampf gegen die Todesstrafe – gekrönt durch deren Abschaffung 1981 – verstand er auch als Antwort auf staatliche Willkür und Entmenschlichung, die er aus der eigenen Familiengeschichte kannte. Badinter engagierte sich später gegen Antisemitismus, für Erinnerungspolitik und für die Stärkung rechtsstaatlicher Prinzipien als Schutz von Minderheiten. Und er machte immer klar, woher er kommt: «Ich bin Franzose und ein französischer Jude – beides lässt sich nicht trennen.»
Diese Untrennbarkeit ist eben jene, die sich in Frankreich bedingt: Die individuelle Identität steht auf Augenhöhe mit der Nation, die sie schützen muss. Das Ideal allerdings ist eines, das die Gesellschaft permanent neu verhandeln muss und will – was in Frankreich zur Permanenz von Debatten führt, die oft missverstanden werden.
Die Aufnahmekriterien für das Panthéon werden in der Gegenwart zum Ausschlusskriterium für viele: Freiheit, Gleichheit, Aufklärung, Menschenrechte und eine Art republikanische Moral, wie sie im Blick auf Frankreich oft untergeht, das regelmässig von Politskandalen durchgerüttelt wird.
In den Strassen rund um das Panthéon gibt es unzählige Buchhandlungen und Antiquariate. Auf dem Weg durch die kleinen Strassen über das Odéon, zum Jardin du Luxembourg und dann Richtung Église de St. Germain sind es Dutzende. Das Buch lebt in Frankreich. Eine Art Entkoppelung von einer überbordenden digitalen Welt. Es ist das irdische Panthéon, das in Frankreich lebt, und die Anzahl der Buchgeschäfte wird zum Gradmesser für Demokratie und Freiheit. Die beste Beschreibung dafür lieferte der französische Philosoph Jacques Derrida: «Die Demokratie ist stets eine Demokratie im Kommen; sie ist niemals gegeben, sondern bleibt ein unabschliessbares Versprechen.» Deshalb bleibt Frankreich das Rückgrat von Europas Demokratie in aller Ambivalenz.
Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.
das jüdische logbuch
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Yves Kugelmann