Das Jüdische Logbuch 31. Mai 2019

Parlament statt Hinterzimmer

Berlin, Mai 2019. Ein Mann mit aufgeschlagener Zeitung unterm Arm bleibt stehen und blick gen Boden auf einen kupfernen Stolperstein in der Mommsen-Strasse in Charlottenburg. An diesem Wochenendmorgen macht eine Äusserung des Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung Felix Klein Schlagzeilen, der in Deutschland vom Kippa-Tragen abrät. Wieder mal. Funktionärsidiotie genau an jenem Wochenende, da bei den Europawahlen markante Gewinne bei extrem rechten Parteien drohen. Der ehemalige Präsident des Europäischen Jüdischen Kongresses Michel Friedman kritisiert die Haltung von Klein scharf, ebenso Israels Präsident Reuven Rivlin. Der Rechtsstaat hätte dafür zu sorgen, dass alle Bürgerinnen und Bürger und somit auch die jüdischen im Rahmen der Grundgesetzgebung frei und sicher leben können. Die Springer-Presse wiederum macht die Causa zum Event mit einer Kippa zum Ausschneiden für jedermann. Dann versiegt die Debatte in den Götterdämmerungen der Abstimmungsresultate (tachles online berichtete ausführlich). Wieder einmal bleibt die Frage, ob Funktionäre ihre Existenz mit aufgeheizten Mediendebatten anstatt mit substanziellen Diskussionsbeiträgen legitimieren müssen. So etwa mit Vertiefung von Entwicklungen, die auch ein unabhängiges empirisches Monitoring von Antisemitismus und Rassismus bedingen und sich nicht jeweils an Einzelfällen abarbeiten würden, sondern an Gesamtentwicklungen festzumachen sind. Es war Kanzlerin Angela Merkel, die zwei Tage später die Situation Europas und der Juden darin in einem ausführlichen Interview auf CNN analysierte (tachles online berichtete) und die Verantwortung Deutschlands für die jüdische Minderheit verbindlich formulierte. Eine Verantwortung, die nicht in den Ratschlag münden kann, keine ethnisch definierten oder religiösen Kleidungsstücke im öffentlichen Raum zu tragen, sondern die mit Aufklärung und Augenmass Grundrechte garantiert. Europas Juden allerdings haben sich in den letzten Jahren zu sehr auf selbst gebastelte Lobbyorganisationen und Funktionäre verlassen, anstatt endlich wieder Persönlichkeiten in die Parlamente und die Exekutive zu senden, Politik in der Arena anstatt in Hinterzimmern zu machen, in denen sich konkurrierende Lobbyorganisationen auf den Füssen rumtrampeln, gerade wenn es um Juden und Israel geht. Alleine in Brüssel sind es um die 15 verbriefte und dann noch andere Organisationen. Es ist an der Zeit, dass Antisemitismusbeauftragte abgeschafft und politische Köpfe wie Michel Friedman die Sache der Demokratie und der Verfassungen in Parlamenten und Exekutiven immer wieder neu verhandeln und schützen.

Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.

Yves Kugelmann