Zürich, Dezember 2021. Aha. Nach dem selbstverschuldeten Debakel beim Neustart mit Erweiterungsbau schaltet das Museum nun auf Gegenangriff, unter anderem mit einer Inseratenkampagne «Fakten statt Fake News – Erfahren Sie mehr über die Sammlung Emil Bührle im Kunsthaus Zürich. Das neue Digitorial bietet Informationen und Hintergründe». Da insinuieren schlaue Marketingköpfe für die mit öffentlichen Geldern geförderte Institution, dass die Medienberichterstattung zur Causa Bührle «Fake News» und die in unzähligen Recherchen zutage geförderten Belege für Bührles Nazi-Kollaboration, seine Zwangsarbeiter, seine rechtsextreme politische Agitation und sein Kriegsgewinnlertum Teil einer faktenwidrigen Kampagne seien. Wenn PR-Berater, Kommunikationsabteilungen oder Spindoktoren erstmals losgelassen sind, die öffentliche Meinung auf Werbe- und anderen Plattformen zu manipulieren, statt freie, unabhängige Forschung zuzulassen, dann ist das allenfalls eine Steilverlage für vertieftes Hinschauen und den fragenden Konjunktiv, da zu viele Fragen im Raum stehen und Antworten fehlen.
Die Sache wäre ja eigentlich so einfach gewesen: Die Familie Bührle und deren Stiftung, hätten ihre Archive längst bedingungslos öffnen können, deren Existenz nicht leugnen sollen und Transparenz zu allen für viele offenen Fragen zur Provenienz von Kunstwerken, zur möglichen Verflechtung der Familie mit dem deutschen Regime schaffen können. Stiftung, Kunstgesellschaft, Kunsthaus, Regierung hätten Verträge und Abmachungen der Öffentlichkeit offenlegen sollen, anstatt sich ins Zürcher Reduit zurückzuziehen. Dann hätte der abtretende leitende Direktor der Sammlung der Stiftung E. G. Bührle Lukas Gloor am 14. November 2021 in der NZZ der Stadt nicht mit Abzug der Sammlung drohen oder seiner Befürchtung nicht freien Lauf lassen müssen, dass die Sammlung zu einer gemäss NZZ «Gedenkstätte für NS-Verfolgung wird, das werde den Bildern nicht gerecht». Den perversen und von Zürichs Regierung stillschweigend hingenommenen Affront, dass die ermordeten Opfer den mit Blutgeld gekauften Bildern nicht gerecht würden, hätten die noch wenigen lebenden Opfer, die vor Bührles Waffen davon gekommen sind, nicht ertragen müssen.
Die Stadtregierung Zürich hätte im Abstimmungswahlkampf von 2012 zum Erweiterungsbau offen thematisieren und über diesen einzigen Satz hinaus zur Causa Bührle die vertiefte Problemlage und die Nazivergangenheit in den Abstimmungsunterlagen beim Namen nennen können: «Dank des Zuzugs der Sammlung E. G. Bührle steigt Zürich zum wichtigsten europäischen Standort für den französischen Impressionismus nach Paris auf. Die Stiftung Sammlung E. G. Bührle hat sich in den vergangenen Jahren intensiv in der Aufarbeitung der Entstehungsgeschichte ihrer Sammlung engagiert. Die Präsentation der Werke der Stiftung in der Kunsthaus-Erweiterung wird von den Erkenntnissen dieser Provenienzforschung flankiert und informiert die Besucherinnen und Besucher über die historischen Zusammenhänge auf angemessene Art» (Abstimmungsunterlagen des Stadtrats Zürich vom 25.11.2012, unterzeichnet von Corine Mauch).
Stadtpräsidentin Corine Mauch hätte proaktiv ansprechen können, dass ihr Onkel Hans Widmer jahrelang den Oerlikon-Bührle-Konzern geleitet hatte und enge Verbindungen mit der Familie Bührle pflegte – ohne dass Journalisten dieses Thema aufbringen müssen. Sie hätte mögliche eigene Ambitionen beim Thema Bührle offenlegen und frühzeitig kommunizieren können, weshalb eine Kunstsammlung mit Blutgeld zu erschaffen in Zürich möglich ist, aber andere historisch belastete Namen oder aus heutiger Sicht rassistische Objekte aus dem Stadtbild entfernt werden.
Der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) hätte eingestehen können, dass er bis Ende Oktober 2021 in der Causa Bührle nichts unternommen hat, im Hinblick auf die Eröffnung keine Forderungen gestellt oder in Bezug auf den sogenannten Dokumentationsraum Interventionen vorgebracht hat, anstatt jetzt im Nachhinein mit fragwürdigem Aufwand gegenüber Öffentlichkeit und Medien eine andere faktenfreie Darstellung, nachzuliefern und zu implementieren. Dann hätte vielleicht auch die völlige absurde Inszenierung von «jüdischen Stimmen» letzte Woche im «Tages-Anzeiger» oder die «Weltwoche»-These die Öffentlichkeit nicht behelligen müssen, dass Bührles Waffenlieferungen eigentlich ein Friedensakt waren – denn die Alliierten hätten so Deutschland besiegen können.
Hätten Politik und auch der SIG auf die in den 1998 unterzeichneten «Washingtoner Prinzipien» geforderte Einsetzung einer unabhängigen Expertenkommission gepocht, würde jetzt nicht seit einem Monat hinter den Kulissen ein lächerlicher Kampf von alten, neuen, teils selbsternannten Experten darum toben, wer nun welchen Job bekommt. Wäre da nicht die bundesrätliche Absenz in Sachen Kunstraub, hätten die dafür zuständigen Bundesämter längst ihre Pflicht tun können.
Na ja. Hätte, würde, sollte, könnte, müsste hätten bei so wichtigen Themen Entscheidungen, Veränderungen und Umkehr in die weite Zukunft verschieben sollen und es wäre nicht nötig gewesen, dass letzten Mittwoch ein Gemeinderat 500 000 CHF für weitere Aufarbeitung in Sachen Bührle spricht. Oder wie es der Zürcher Reformator eigentlich schon vor über 500 Jahren gesagt hat: «Lüge ist der Anfang zu allem Bösen.»
Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.
das jüdische logbuch
10. Dez 2021
Konjunktiv-Ballade vom Blutgeldblues
Yves Kugelmann