das jüdische logbuch 07. Mär 2025

Die neue Weltunordnung

Wien, März 2025. Was, wenn Kriege nicht mehr gewonnen werden können und das eine unumstössliche Erkenntnis wird? Wenn also im Umkehrschluss Kriege nur noch verloren werden können? – In Wien an der Ost-West-Schwelle ist Geopolitik auf den ersten Blick weit Weg. Die Presse verhandelt zuerst die neue österreichische Koalition und ein wenig die neuen europäischen Koalitionen in Sachen Ukraine. In Trumps Weltmonopoly machen gestandenen Analysten wie dem Osteuropa-Experten Paul Lendvai die Willkür, die Sprunghaftigkeit, das Risikomanagement und die Ruchlosigkeit Sorgen. Amerika hat nach 1945 Multilateralität zu ihren Bedingungen diktiert, Europa sicherheitspolitisch an der kurzen Leine gehalten, die Atomsperrverträge zumindest im öffentlichen Bewusstsein geführt, die geopolitische Ordnung des Westens dominiert. Es waren die USA unter Georg H. W. Bush, die an der Madrider Konferenz von 1991 für den Nahen Osten eine neue Ordnung multilateral verhandelt haben, nachdem der gleiche Bush mit offener Perspektive die Wende von 1989 sanft orchestriert hatte. Trump bricht mit all dem, und man muss nicht absurde Vergleiche aus den 1930er Jahren anrufen, um zu verstehen, dass die Kleptokratie von Trump der Willkür und keiner Expertise folgt. Mit einer Ausnahme: Die jetzt auch wieder drohende Inflation war in den 1930er Jahren ein Trigger für die Ereignisse. Was heisst all dies in diesen Tagen der geopolitischen Betrachtungen im Westen, in denen Asien mit China und Indien, die Türkei, arabische Perspektiven oft zu kurz kommen? Jahrzehnte lang haben sich viele Länder ausserhalb Europas und Amerikas langsam, aber sicher in Teilen verwestlicht – gesellschaftlich, wirtschaftlich, politisch. Nun veröstlicht sich die führende weltpolitische Macht des Westens, wird autokratischer, kleptomanischer und definiert den Gesellschaftsvertrag um, ohne dass er im Sinne der Aufklärung verhandelt wird. Die neue Weltunordnung Trumps folgt einer Art unreflektierter Chaostheorie, der immanent ist, das kleine Veränderungen grosse, oft unvorhersehbare Folgen haben können. Die Wissenschaft spricht vom «Schmetterlingseffekt». Scheinbar zufällige Ereignisse folgen oft einem verborgenen Muster, das durch komplexe Wechselwirkungen entsteht. Sie hilft, das Verhalten nicht linearer, dynamischer Systeme besser zu verstehen, und erklärt, warum langfristige Vorhersagen in bestimmten Bereichen nahezu unmöglich sind. Der Jahrhundert-Seismograph Franz Kafka entlarvte die Entwicklungen kurz und prägnant: «Die Lüge wird zur Weltordnung gemacht.» Derweil Wien in Wartestellung bleibt.

Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.

Yves Kugelmann