Paris, März 2020. Showdown des öffentlichen Lebens. Menschen mit Masken. Einreise- und zum Teil Ausgangsperren, geschlossene Theater, Kinos und Restaurants, Grounding des Flugverkehrs. Was sich wie apokalyptische Science Fiction liest, ist für ein paar Wochen von Asien über Europa bis Nordamerika Wirklichkeit geworden. Zwischen Purim und Pessach werden mythologische Metaphern greifbar und Corona wird zur elften Plage. In Paris sind die Strassen an diesem Abend fast leer. Rush Hour ohne Stau, Metropole ohne Hektik. Der Louvre geschlossen. Es ist ein warmer Abend mit frühlingshaften Temperaturen. In den Strassencafés sitzen dennoch viele vor allem junge Menschen. Darunter auch eine Gruppe jüdischer Franzosen, die heftig über Massnahmen während des Purimfestes, Einreisesperren in Israel und vor allem die Entwicklungen im Kontext einer drohenden weltweiten Rezession diskutiert. Abseits von allem hat der Coronavirus das Bewusstsein für die Flüchtlingskrise an den Grenzen Südeuropas, den Zynismus internationaler Politik im Umgang mit den Auswirkungen von Krieg und anderen Bedrohungen verdrängt. Doch in wenigen Wochen wird Corona vorerst verschwunden sein, die drastischen Auswirkungen noch länger nachhallen und die Flüchtlinge, die Vertriebenen, die Verfemten weiterhin vor Europas Türen stehen. Das Meer wird sich nicht gespaltet und niemand Einlass gewährt haben. Sie werden fragen: «Was habt ihr gemacht gegen die Neonazis, die uns in Griechenland drangsaliert haben?» Biblische Gleichnisse und schöne Worte werden da nicht helfen, sondern nur der Spiegel für alle, die wegschauen.
Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.
Das Jüdische Logbuch
13. Mär 2020
Die elfte Plage
Yves Kugelmann