Das Jüdische Logbuch 05. Jul 2019

Der Konjunktiv als Primat der Zukunft

Córdoba, Juni 2019. Die Plaza Maimonides liegt in der prallen Sonne. Aus den umliegenden Gärten hinter den hohen Mauern dringen die Gesänge der Vögel durch. Ansonsten ist es ruhig. Ein feiner warmer Wind weht durch die Gassen und mit ihm eine Art Ruhe, die übergeht in den Rhythmus des Atems. Die Touristenströme vom Morgen sind längst der Hitze gewichen. Allenfalls besuchen sie noch die kühleren Kirchen oder staunen in der gigantischen Mezkita-Catrale, was maurische Architektur vollbrachte. Stundenlang kann man unter den Gewölben durchspazieren und staunen. Seit der Reconquista ist in ihrem Mittelschiff eine Kirche eingebaut. Was heute als architektonisches Faszinosum daherkommt, zeigt die Tragik einer Epoche: Mit der Inquisition 1492 endete die jüdische Präsenz in Spanien – und doch ist sie sichtbar geblieben. Über 500 Jahre Absenz und ein wenig Rückkehr im 20. Jahrhundert. Und es endete eine islamische Hochkultur. Die meisten Synagogen und viele Moscheen sind inzwischen Kirchen, die Judenviertel Andalusiens Touristenmagnete und die jüdische-islamische Gelehrsamkeit längst verschwunden.

Doch beim Gang durch die Gassen von Toledo, Sevilla oder Córdoba dringt die Kraft einer Epoche durch, die in der jüdischen wie in der islamischen Gemeinschaft kaum mehr bewusst wahrgenommen wird. Wer in den Synagogen steht, in den jüdischen Quartieren am Rande der Königspaläste den einstigen Reichtum, die Vitalität der damaligen Gemeinschaften spürt und in Quellentexten nachliest, erfährt auch den Konjunktiv der fehlgeleiteten Geschichte, was alles hätte sein können und auch sollen. Jüdische gelehrte wie Moses und Abraham ibn Esra, Jehuda Halevi und Isaak Abrabanel und letztlich Maimonides haben von Spanien aus die jüdische Geisteswelt bis heute geprägt, doch sind sie kaum mehr Teil des breiteren jüdischen Bewusstseins. Ebenso sind die islamischen Gelehrten kaum mehr präsent im Bewusstsein der muslimischen Welt. Die oft mystifizierte Hochkultur im sogenannten goldenen Zeitalter allerdings war eine, die eine jüdisch-islamische Kultur entfachte, die nach 1492 zum Teil ihren Fortgang fand und im starken Kontrast zur viel problematischeren Präsenz jüdischer Minderheiten im christlichen Europa stand. Das Massaker von Granada im Jahre 1066 allerdings gilt bis heute als eines mit den meisten jüdischen Opfern. Doch ungebrochen war fortan die Etablierung und Entfaltung jüdischer Gemeinden gerade in Andalusien, die oft unter Schutz der muslimischen Könige standen. Córdoba ist eine dieser andalusischen Perlen. In den Mauern sind die Dichtungen und Texte wortlos, in der Ornamentik bildlos regelrecht unsichtbar enthalten. Die Liebesdichtung Ibn Hazms, «Das Halsband der Taube», fast schon ein tragender Text in diesem zeitlosen Ort. Innerhalb der Mauern der Altstadt wird der Spaziergang durch die alten Gassen zur Zeitreise mit der Frage, was wohl in der modernen Gegenwart geworden wäre, wenn Judentum und Islam den Weg durch die Zeit weiterhin Schulter an Schulter hätten gehen, Texte entwickeln und Kultur hätten etablieren können.

Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.

Yves Kugelmann