das jüdische logbuch 11. Feb 2022

Der Bundesrat für Antisemitismus

Paris, Februar 2022. Das Restaurant passt irgendwie: Nomad’s. Die Autorin stammt aus Algerien, wuchs in Frankreich auf, lebte in Israel, absolvierte dort die Armee. Nun lebt sie in Paris, schreibt erfolgreich Bücher. Die sephardische Jüdin engagiert sich für Schulprogramme für Aufklärung über die Schoah. Den Begriff lehnt sie allerdings ab. «Das ist die Judaisierung des Genozids an den Juden.» Der industrielle Massenmord der Nationalsozialisten an den Juden solle nicht mit einem hebräischen Namen zum Teil des Judentums werden. Natürlich ist er es längst geworden, räumt die Autorin ein. Zugleich spricht sie in Schulklassen vom Massenmord an Juden. «Man muss die Dinge benennen und nicht hinter wohlklingenden Namen verbergen.» Symbole, Namen lassen Ereignisse vergessen und verharmlosen sie durch Wohlklang. Unterricht lebe von Offenheit und Transparenz. – Ein paar Tage später dann die Schweizer Realität des verkorksten Umgangs mit Geschichte. Der Bundesrat erlaubt Nazi-Symbole (vgl. S. 12) in einer Zeit, in der der Nationalsozialismus weltweit wieder in rechtsextremen und rechten Bewegungen auflebt, von kruden Verschwörungstheoretikern auf Strassen getragen und allenthalben zu einer Art Fetisch wird. Europaweit nutzen rechte Politiker mit dem Nationalsozialismus (NS) konnotierte Sprache, das Netz triggert NS-Ideologien. Der Nationalsozialismus steht für ethnischen Genozid an Juden. Er begann mit dem Hakenkreuz und endete mit Judenstern und tätowierten Konzentrationslager-Nummern. Symbole und Kennzeichnungen, die antisemitisch sind, weil sie für den Genozid an Jüdinnen und Juden stehen. Ein Bundesrat, der solches zulässt, ist kein Bundesrat der jüdischen Gemeinschaft, ebenso wenig aller anderen NS-verfolgten Minderheiten. Ritualstränen an Gedenktagen, leere Solidaritätsbekundungen oder Almosen für Sicherheit werden als Scheinheiligkeit ohne klare Haltung entlarvt. Eine Regierung kann sich nicht mal mehr in Sachen Nationalsozialismus auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner berufen und spricht mit dem Entscheid geradezu eine Einladung an Europas Rechtsextreme aus. Die Schweizer Geschichtsvergessenheit öffnet Türen, die längst hätten verriegelt werden müssen. Der Bundesrat für Antisemitismus ist einer, der Nazi-Symbole erlaubt oder etwa schweigt, wenn eine Schweizer Stadt einen Nazi-Kollaborateur hofiert, bis heute die Washingtoner Prinzipien nicht umgesetzt hat. Solche Regierungen sind von gestern, solche Regierungen sollten sich schämen, und vor allem: Solche Regierungen sollten von jüdischen Organisationen künftig die kalte Schulter gezeigt bekommen. – Ja. Die Schoah muss eben doch das Thema der Gesellschaft werden. Klar benannt.

Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.

Yves Kugelmann