Das Jüdische Logbuch 28. Jun 2019

Das richtige Museum

Washington, Juni 2019. «Americans at War» heisst die aktuelle Ausstellung im Holocaust-Museum in Washing-
ton. Sie stellt sehr offen die Frage, was die Amerikaner in den 1940er Jahren vom Holocaust wussten, wie Regierung, Politik oder etwa Medien auf die Judenvernichtung eintraten oder nach dem Zweiten Weltkrieg reagierten. Ohne dass es ausgesprochen oder als Analogie angeführt würde, steht die Ausstellung im Kontext eines unter Präsident Trump neu in Erscheinung getretenen Antisemitismus und der verheerenden Zustände in mexikanischen Internierungslagern an der Grenze zu den USA. Mechanismen von Judenhass oder Propaganda gegen Juden oder ethnische Gruppen werden thematisiert und dann in der Daueraus-
stellung nochmals kontextuiert. In der Eingangshalle prangt gross der Satz von Elie Wiesel: «Dieses Museum ist keine Antwort. Es ist eine Frage.» Draussen ist es über 40 Grad heiss. Hunderte von Schülern und Besuchern werden auch an diesem Tag wieder mit Führungen oder Audioguides durch den Horror des 20. Jahrhunderts geführt. Der Eintritt ist gratis, das Museumspersonal sehr freundlich und hilfsbereit. Überall werden Fragen beantwortet. Und inmitten dieser vielen Menschen Holocaustüberlebende, die Schulklassen durch die Ausstellung führen. Im ersten Stock lädt eine zwei Meter hohe Wandschrift «Syria – please don’t forget» auf Englisch und Arabisch zu einer kleinen aktuellen Ausstellung über die Opfer des fatalen und schon fast vergessenen Syrienkriegs ein. Das Holocaust-Museum existiert seit 25 Jahren und ist ausserhalb Israels die bedeutendste Institution bezüglich Vermittlung der Schoah geworden. Kompromisslos und sehr unabhängig führt die Direktorin Sarah J. Bloomfield das Haus mit rund 400 Mitarbeitern in Museum, Archiven und edukativer Aufarbeitung. Finanziert wird das Haus durch öffentliche und philanthropische Gelder. In einer der aktuellen Ausgabe des regel-
mässig erscheinenden Museumsmagazins tritt Bloomfield unmissverständlich auf das politische Klima in den USA, die Ereignisse seit Charlottesville und die neonazistische Rechte sowie ihren Aufwind unter der Regierung Trump ein oder thematisierte in einer Ausstellung von 2018 die Genozide der letzten Jahrzehnte. Was in Deutschland sofort zu einer falschen und ideologisierten Debatte um unzulässige Gleichsetzung von Schoah und anderen Ereignissen führte, wird in den USA selbstbewusst eingebracht und liest sich in diesen Tagen der Debatten um das Jüdische Museum in Berlin neu. Übergriffe und Eimischungen von Politik oder gar jüdischen Organisationen sind undenkbar und würden ohnehin an der klar argumentierenden Direktorin abprallen. 
Und so ordnet sich der Blick auf die eigentümliche Debatte um das Jüdische Museum in Berlin (vgl. Seite 20) ebenso neu ein wie die Tatsache, dass es in Deutschland bis heute kein Holocaust-Museum gibt, sondern die Schoah in jüdischen oder anderen Museen subsumiert und etwa Schul- und Aufklärungsarbeit einen offenen Zugang wie in den USA mit 26 Holocaust-Museen anders kontextuiert findet.

Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.

Yves Kugelmann