das jüdische logbuch 23. Dez 2022

Chanukka als Neuanfang

Ljubljana, Dezember 2022. Der Stadtkern ist malerisch. Weihnachtsschmuck und -Beleuchtung lassen die Stadt in sanftem farbigem Licht erstrahlen. Entlang dem kleinen Fluss Ljubljanica ziehen sich die kleinen Strassen und Gassen. Eine geht von der Verkündigungskirche ab Richtung Osten. Im ersten Stock eines alten Hauses stehen Chanukkiot. Ein Mann bereitet die Kerzen vor. Es ist der Österreicher Elie Rosen, Präsident der jüdischen Gemeinde im österreichischen Graz. Seit 2020 leitet er Sloweniens jüdische Gemeinde mit Sitz in Ljubljana. Das Land zählt rund 200 Jüdinnen und Juden. Die meisten zugewandert. Eine alte sesshafte jüdische Gemeinschaft gibt es so gut wie gar nicht mehr. Ein jüdisches Erbe allerdings schon. Das möchte Rosen bewahren, neu aufleben lassen, er ist an diesem Tag für eine Chanukkafeier von Graz nach Ljubljana gefahren. Mitten in der Altstadt hat er vor einigen Jahren eine Synagoge und ein Gemeindezentrum geschaffen. Der Blick nach Osten richtet sich auf den am Fluss gelegenen berühmten Zentralmarkt der Stadt, entworfen von Architekt Jože Plečnik und seit 2021 Teil des UNESCO-Weltkulturerbes. Rosen verbringt jeweils einige Tage in Ljubljana und betreut die Gemeinde. Staatliche Förderungen oder Hilfe von europäischen Verbänden gibt es nicht. Dafür Konkurrenz in der Stadt. Etwas südlicher haben Konvertiten ein liberales jüdisches Kulturzentrum errichtet. Rosens Gemeinde setzt sich aus Migranten und Expats zusammen. Der Rabbiner von Triest betreut auch die Gemeinde in Ljubljana. 1991 erklärte sich Slowenien unabhängig und verliess die sozialistische Republik Jugoslawien. Es war das Ende einer bewegten Geschichte aus der Antike, Österreichisch-Ungarischer Monarchie und dann Kommunismus. Die Geschichte der Juden Sloweniens geht auf das römische Reich zurück und fand ihr Ende weitgehend im Holocaust. Es folgt eine neue Ära und letztlich die Neuerrichtung der Gemeinde unter dem Einsatz von Rosen: «Nach dem Verlust der sechs Millionen Juden sehe ich das als unsere Pflicht der Nachgeborenen.» Rosen spricht ruhig und pragmatisch. Eine jüdische Hochzeit gab es noch nie. Die kürzlich erfolgte Brit Mila eines neugeborenen Jungen musste in Österreich vollzogen werden. Die Beschneidung ist in Slowenien verboten, ebenso das Schächten von Tieren. Rosen ist kein Missionar – er ist ein pragmatischer «Macher» und vollzieht in kleinen Schritten das Mach- und nicht Wünschbare. So hat er mit Hilfe von Politikern erreicht, dass der jüdische Friedhof in Gorica wieder genutzt werden kann. Geduldig erzählt er vom jüdischen Leben in Slowenien, von politischen Herausforderungen der Gegenwart unter der neuen Regierung. Ukrainische jüdische Flüchtlinge haben die Stadt noch nicht erreicht. Doch natürlich sei der Krieg auch in Slowenien spürbar, die Migrationsbewegungen der letzten Jahre eine Herausforderung. Rosen muss weiter, den Abend vorbereiten. Die Strassen in der Stadt haben sich gefüllt, hell leuchtet inmitten der Weihnachtssterne eine Chanukkia als Teil des Strassenschmucks in den Gassen. An der Strassenecke ist ein Schild, das auf das jüdische Theater mit Kulturzentrum hinweist. Die Stadt, die seit Jahrhunderten keine Synagoge mehr hatte, wird in diesen Jahren jüdisch neu belebt. Nicht mit vereinten Kräften – sondern wie so oft mit zwei jüdischen Gemeinschaften, die neben- und nicht miteinander leben.

Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.

Yves Kugelmann