Das Ernst-Barlach-Haus in Hamburg ehrt den Architekten Ossip Klarwein, welcher nach seiner Flucht aus Deutschland zu einem der prägenden Architekten des jungen Israel wurde.
Tatkräftig sieht er aus, wie er 1932 auf einer Strandpromenade, lässig angelehnt, mit Schiebermütze, im kurzärmeligen Hemd und vor der Brust verschränkten Armen den Betrachter anschaut. Tatkräftig und selbstbewusst konnte der 1893 in Warschau geborene Ossip Klarwein auch sein, vermochte er doch schon damals auf eine erfolgreiche Tätigkeit als Architekt zurückzuschauen. Nach seinem Studium, unter anderem als Meisterschüler bei Hans Poelzig in Berlin, arbeitete er seit 1927 bei dem Hamburger Architekten Fritz Höger, der über die Stadtgrenzen hinaus durch das Jahre zuvor fertiggestellte Chile-Haus mit seinem vorkragenden Bug bekannt war. Klarwein stieg in Högers Büro zum Chefarchitekten auf. Diverse Entwürfe, Skizzen und Modelle bezeugen seine Teilnahme an Wettbewerben sowie Bauprojekten nicht nur in der Hansestadt, sondern auch in Hannover, Wilhelmshaven und Leipzig. Das letzte Bauwerk, an dem Klarwein für das Büro Höger arbeitete, war die Evangelische Kirche am Berliner Hohenzollernplatz. Die städtebauliche Einbindung der Kirche sowie die Komposition des Baukörpers lagen in Klarweins Händen.
Das im März 1933 eingeweihte, noch heute erhaltene monumentale Bauwerk, vom Berliner Volksmund «Kraftwerk Gottes» genannt, war für die deutsch-französische Journalistin und Publizistin Jacqueline Hénard Anstoss, sich mit dessen Architekten zu beschäftigen. Die im Spätsommer 2022 begonnenen Recherchen entwickelten sich rasch zu einem engagierten deutsch-israelischen Ausstellungsprojekt. Ziel war es, wie der Berliner Architekturhistoriker Johannes Cramer betont, «das Werk eines zu Unrecht weitgehend in Vergessenheit geratenen Architekten wieder in das Bewusstsein der Öffentlichkeit zu bringen».
Von Hamburg nach Palästina
Dass Ossip Klarwein zumindest in Deutschland in Vergessenheit geriet, hängt mit der Machtübertragung an die Nationalsozialisten zusammen. Klarweins Chef Höger wurde denunziert, einen «katholisch getauften Juden» für sich arbeiten zu lassen. Höger verhalf seinem ehemaligen Chefarchitekten zu einem Touristenvisum. Preussisch korrekt meldete sich der Hamburger Staatsbürger Klarwein im November 1933 polizeilich ab und floh nach Palästina. Ehefrau, Sohn und Klarweins Vater folgten im April 1934.
Klarwein gelang es trotz fehlender Englisch- und Hebräischkenntnisse sehr schnell, sich im britischen Mandatsgebiet als selbstständiger Architekt zu etablieren. Von Haifa aus beteiligte er sich wiederum an Wettbewerben, zum Beispiel für das Grabmal des prominenten Zionisten Chaim Arlosoroff. In Haifa baute Klarwein Villen und Mietshäuser und schuf dort das Büro- und Geschäftshaus Beit Hakranot. In Nahariya, dem «Seebad der Jeckes», setzte Klarwein städtebauliche Akzente. Er realisierte dort nicht nur das hochmodern anmutende, zweigeschossige Beit Ettlinger, das schnell als «Schloss» bezeichnet wurde. Für den aufstrebenden, an der Mittelmeerküste gelegenen Ort entwarf er nicht nur ein Strandrestaurant sowie eine grosse öffentliche Badeanstalt, sondern später auch das die Stadt prägende Rassco-Geschäftszentrum.
Erfolg in Jerusalem
Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges verschlechterte sich die materielle Situation Ossip Klarweins. Ohne Aufträge unterschrieb er 1940 einen Vertrag als befristeter Architekten-Assistent im Public Works Department der britischen Mandatsbehörde. Gemeinsam mit weiteren Berufskollegen arbeitete er dort am Bauprogramm für mehr als 50 Polizeistationen. Nach fünf Jahren wechselte er in die Stadtplanung von Jerusalem, welches sein neuer Lebensmittelpunkt wurde. Im November 1948 erfolgte die Ernennung zum Stadtarchitekten. Klarwein nahm ab dann an diversen Projektausschreibungen im ganzen Land teil. Wie er rückblickend schrieb: «Meine ganze Existenz in Israel war und ist auf Wettbewerben aufgebaut. Sie sind mein Hobby und mein Glück.» Klarwein gewann erste Preise für das Grabmal von Theodor Herzl, das Gebäude der neuen Hebräischen Universität und für das Hauptquartier der Polizei in Tel Aviv. Wie Jacqueline Hénard schreibt, liest sich Klarweins Werkverzeichnis «wie der Klappentext zu einer Wirtschafts- und Sozialgeschichte des jungen Israel». Zu seinen grossen Projekten zählten etwa die Dagon-Getreidesilos in Haifa, das Kino Hod in Nahariya mit 1080 Plätzen oder der Hauptbahnhof in Tel Aviv.
Grösste Anerkennung wurde Klarwein zuteil, als er 1957 für seinen Entwurf für das neue israelische Parlament den ersten Preis erhielt. Auch wenn ihn dieser Zuschlag weltberühmt gemacht hat, verärgerten ihn die Streitigkeiten um die Realisierung: «Alle sagen, der Bau sei neoklassizistisch und faschistoid. Aber das stimmt nicht. Lachhaft. Das letzte Gebäude, das ich in Berlin gemacht habe, 1933, ist eine evangelische Kirche. An der Eröffnung konnte ich nicht teilnehmen, weil Göring da war. Damals wurde ich von den Deutschen verunglimpft wegen der Mosaike. Sie seien ‹rassenunrein›. Und hier wirft man mir vor, die Knesset sei faschistoid!» Trotz aller Kritik und baulichen Veränderungen hoben sowohl das Zeremoniell anlässlich der Eröffnung der Knesset am 30. August 1966 als auch die Bauinschrift die Urheberschaft Klarweins hervor. Sein letzter Wettbewerbsbeitrag galt 1968 einem Mahnmal für die zerstörte Hauptsynagoge in München. Am 9. September 1970 starb Ossip Klarwein in Jerusalem.
Die Ausstellung, die zuerst in der Berliner Kirche am Hohenzollernplatz unter dem Titel «Ossip Klarwein – Vom ‹Kraftwerk Gottes› zur Knesset» gezeigt und nun unter der Überschrift «Ein Architekt zwischen Hamburg und Haifa» präsentiert wird, würdigt die Lebensleistung eines Mannes, dessen Bedeutung erstaunlich unbeachtet geblieben ist. Der reich illustrierte Katalog vereint neun kenntnisreiche Beiträge von deutschen und israelischen Autoren. Den Band beschliesst ein 50-seitiges, kommentiertes Werkverzeichnis mit zahlreichen Fotografien, Skizzen und Entwürfen. Ein vorbildliches Projekt, das an einen avantgardistischen Architekten erinnert, der sowohl in Deutschland als auch in Israel prägnante Spuren hinterliess!
«Ossip Klarwein. Ein Architekt zwischen Hamburg und Haifa», bis 8. Februar 2026, Ernst-Barlach-Haus, Hamburg.
Jacqueline Hénard (Hg.): «Ossip Klarwein. Vom ‹Kraftwerk Gottes› zur Knesset», mit Beiträgen von Doron Bar, Dafna Berger Shperling, Johannes Cramer, Diana Dolev, Sigal Davidi, Jacqueline Hénard, Noah Hysler Rubin, Guy Jamo und Talia Margalit, Verlag Kettler, Bönen 2025.