standpunkt 17. Okt 2025

Zensur bei der Stadt Zürich

Ein kleiner Sturm fegte vor Kurzem durch die Zürcher Medien, als bekannt wurde, dass die Fachstelle «Diversität, Integration, Antirassismus» der Stadt Zürich den Titel des Buches «Zigeuner» von Autorin Isabella Huser auf der Einladung zu einer internen Veranstaltung ohne Rücksprache zensiert hatte. Der Entscheid wurde mit der Aussage begründet, die Fachstelle wolle keine «Wörter und Bezeichnungen verwenden, die von Teilen der Bevölkerung als abwertend oder (rassistisch) diskriminierend wahrgenommen werden (können)». Inhaltlich sollte es um «Jenische, Romnja und Sintizze in Zürich» gehen.

Isabella Huser war für ein Referat über die Verfolgung der Jenischen in der Schweiz eingeladen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Als Schriftstellerin hat sie die Verfolgungsgeschichte auch der eigenen jenischen Familie seit Beginn des 19. Jahrhunderts für ihren Roman recherchiert. Ausserdem ist sie Mitglied der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus. Man kann davon ausgehen, dass sie ihren Buchtitel mit Bedacht gewählt hat. Das übergriffige Weglassen des Titels, der als Eigenbezeichnung in Anführungszeichen hätte gesetzt werden können, aus Angst vor Protesten hat diesen Protest erst recht hervorgerufen. Mag sein, dass die Empörung gegen diesen Entscheid in vielen Medien auch von einem gewissen Ressentiment gegenüber einer als übertrieben empfundenen politischen Korrektheit getragen ist.

Der Fachstellenleiter räumte zwar ein, dass die Kommunikation nicht gut gelaufen sei, verpasste aber grundsätzliche Überlegungen anlässlich des Vorfalls. So steht der zensierende Eingriff für die fehlgeleitete moralische Überlegenheit gewisser durchaus wohlmeinender linker Kreise, die Eva Illouz in ihrem lesenswerten Buch «Der 8. Oktober» beschreibt. Als ob eine Sprachregelung ein gesellschaftliches Problem «lösen» könnte, als ob es einen einfachen Weg und einen richtigen Umgang mit gesellschaftlichen Spannungen geben würde. Indem das von der Autorin selbst gebrauchte «Zigeuner» vermieden wird, sollen «schlechte Gefühle» ausgeschlossen werden, die jedoch in der Geschichte, nicht im Wort selbst liegen. Eine Perpetuierung der Diskriminierung lässt sich durch die Vermeidung des Wortes ebenso wenig vermeiden wie der Antisemitismus sich mit der Ersetzung durch ein anderes Wort oder die Adjektivierung (jüdische Mitbürger statt Juden beziehungsweise Jüdinnen) in Luft auflöst. Im Gegenteil: Mir als Jüdin scheint gerade die etwas peinliche Berührtheit, das kleine Zögern, das mir beim Aussprechen des Wortes oft begegnet, durchaus passend und angemessen. Es enthält die Emanzipations- und die Verfolgungsgeschichte gleichermassen. Besonders absurd und geschichtsvergessen ist die verbreitete Verwendung «Z-Wort» anstelle des tabuisierten Begriffs, dabei steht es wie damals die «J»-Kennzeichnung für die nationalsozialistische Vernichtungspolitik. Vor lauter Vermeidung einer als Unrecht eingesehenen Diskriminierung wird diese unbewusst wiederholt: Sigmund Freud nannte das die Wiederkehr des Verdrängten.

Rechte Kreise fordern nun die Abschaffung der Fachstelle, was nicht die Lösung sein kann, auch wenn die extra dafür eingerichtete Behördenstelle sich mit der Aufgabe Diskriminierungsschutz in diesem Fall als überfordert erwies. Im Hinblick auf die im selben Amt neu geschaffene Stelle eines Antisemitismusbeauftragten der Stadt Zürich müssten eher die Erwartungen präzisiert werden: Nicht pädagogische Konzepte zum Gebrauch der richtigen Wortwahl sind gewünscht, sondern dass sich eine Stelle verantwortlich fühlt, die irrationalen Seiten gesellschaftlichen Verhaltens wie Rassismus, Antisemitismus oder Antiziganismus anzusprechen und einzugrenzen durch Vermittlung und Aufklärung. Andererseits muss eingestanden werden, dass eine Fachstelle oder eine Kommission Diskriminierung nur benennen, nicht verhindern kann. Es wäre wünschenswert, wenn so eine Stelle, statt mit moralischer Korrektheit glänzen zu wollen, dabei behilflich wäre, Unklarheiten und Verwirrung im Dickicht der Gefühle unter der Last der Geschichte zu benennen.

Madeleine Dreyfus ist Psychoanalytikerin mit abgeschlossener Praxistätigkeit und Autorin.

Madeleine Dreyfus