Bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe Donnerstagfrüh bleibt offen, ob der US-Präsident an der Seite Israels in den Krieg gegen Iran eingreift und mit tonnenschweren «Bunker Buster»-Bomben bestückte B-2-Maschinen gegen die tief in einen Berg gegrabene Anreicherungsanlage in Fordo fliegen lässt. Von der US Air Force vielfach geprobt, dürfte ein solcher Angriff das Ende des iranischen Atom-Programms bedeuten. Bis heute befinden US-Geheimdienste stets, diese mit immensen Investitionen und gegen aggressive Störungen Israels und der USA betriebene Anstrengung diene nicht der Produktion von Kernwaffen. Gleichwohl hat die Islamische Republik die Voraussetzungen dazu geschaffen und diese nach der Aufkündigung des internationalen Atomabkommens durch Trump 2018 in letzter Zeit auch eskaliert. Dies wiederum unter dem Eindruck der israelischen Gegenoffensive nach dem 7. Oktober 2023.
Mit etwas Abstand gesehen, ist der Wunschtraum der Hamas-Terroristen wahr geworden, mit ihrer barbarischen Attacke eine regionale Eskalation auszulösen. Doch diese geht nun nicht mit der Zerstörung oder zumindest der Isolierung und Schwächung Israels aus. Im Gegenteil: Dank amerikanischer und in geringerem Masse europäischer Hilfe konnte Israel nicht allein die Hamas zerstören, sondern Schlag auf Schlag die Hisbollah, das syrische Assad-Regime, iranische Streitkräfte dort und schliesslich auch die Islamische Republik als Zentrum einer «Achse des Widerstands». Denn eine Woche nach Beginn der Operation «Rising Lion» scheint Iran vor einer vollständigen Niederlage zu stehen. Israel hat die Lufthoheit über Teheran gewonnen. Vergeltungs-Drohungen des geistlichen Oberhauptes Ayatollah Khamenei klingen hohl und nach Verzweiflung. Und selbst eine Ausweitung des Krieges mit Attacken auf US-Basen und Kriegsschiffe oder Öl- und Erdgas-Felder der arabischen Golfstaaten dürfte angesichts der Kontrolle Israels über den iranischen Luftraum und der amerikanischen Präsenz in der Region in Ansätzen steckenbleiben.
Beeindruckt von diesem durchschlagenden Erfolg hat Trump sein Beharren auf einer diplomatischen Lösung des Atom-Disputs aufgegeben. Dies war laut der «New York Times» und anderen US-Medien Teil der Kalkulationen Netanjahus, der Trump seit Monaten von der Notwendigkeit und Machbarkeit eines entscheidenden Schlags gegen das Atom-Programm und womöglich das Regime der Islamischen Republik zu überzeugen suchte. Nach dem Motto «der Erfolg hat viele Väter» tönte Trump am Dienstag auf Social Media schon: «Wir kontrollieren den Luftraum über Iran.»
Und doch wartet Israel, wartet die Welt seither auf Trump: Setzt er nun die B-2 auf Fordo an oder nicht? Trump selbst hat am Mittwoch erklärt, er wisse nicht, wie er sich entscheiden werde. Die Aussage schockiert, ist aber eigentlich keine Überraschung. Denn Trump war nie ein konzeptioneller Denker. Ideen für die Gestaltung der Region nach der Zerstörung der Islamischen Republik dürften ihm fehlen. So wird nun auch ein geistiges Vakuum im Kopf des 79-Jährigen offenbar, dessen Alter zunehmend in Ermüdung, Stolpern und wirren Reden deutlich wird. Seine Phrasen «America First» und «Make America Great Again» deuten auf einen grobschlächtigen Neo-Merkantilismus und eine Neuaufteilung der Welt in Interessensphären starker Männer wie Putin, Xi und vor allem ihm selbst. Aber offenkundig kann er aus dieser archaischen Idee nun ausgerechnet in Nahost, diesem Zankapfel grosser Mächte seit biblischen Zeiten, keine Strategie ableiten. Und immer wieder schreckt er vor der eigenen Courage bei Strafzöllen zurück.
Denn eigentlich dient ihm die zweite Präsidentschaft zur Machterweiterung durch Zerstörung von Gewaltenteilung, Grundrechten und unabhängigen Institutionen in den USA. Auf Widerstand etwa von Harvard und anderen Universitäten reagiert er mit verdoppelter Aggressivität. Hand in Hand damit geht eine an Putins Oligarchie-System gemahnende Selbstbereicherung.
Von dort führt ein direkter Pfad zu Trumps Unentschlossenheit – die freilich bei der Publikation dieser Zeilen schon vorüber sein könnte. Denn noch im Mai haben ihn Saudi-Arabien und andere Öl-Monarchien mit gigantischen Deals überschüttet. Daran sollte neben Rüstungs- und Hightech-Konzernen auch die Familienfirma des Präsidenten Milliarden Dollar verdienen. Dahinter stand allem Anschein nach die Erwartung, dass Trump dem Verlangen der Golf-Araber nach einer diplomatischen Lösung im Atom-Disput freundliches Gehör schenkt. Nun scheinen selbst Putins Wünsche nach einer Bewahrung der Islamischen Republik auf taube Ohren bei ihm zu stossen.
Gleichwohl zögert Trump. Denn im Kern seiner politischen Marke liegt neben Hass auf «illegale Immigranten» die Ablehnung militärischer Abenteuer gerade in Nahost. Daran erinnern ihn MAGA-Propagandisten wie Steve Bannon und Tucker Carlson mit dem Ruf, Israel solle seine Kriege gefälligst selbst ausfechten. Zudem sind seine Beliebtheitswerte auf eine Ablehnung von bis zu 54 Prozent gefallen. Laut Umfragen lehnen 60 Prozent der Amerikaner zudem einen Waffengang gegen Iran auch an der Seite Israels ab. Die Sympathiewerte für Israel sind unter 40 Prozent gesunken, dies vermutlich unter dem Eindruck der endlosen Bilder von Zerstörung, Hunger und Tod aus Gaza.
Aber gleichzeitig betrachten drei Viertel der Amerikaner Iran als unfreundlich und vor allem als Feind. Der Begriff «Erzfeind» dürfte besser passen. Denn seit der Revolution gegen den Schah und der Demütigung des 400-tägigen Geiseldramas 1979–1981 sehen Bürger und Politik in Amerika keinen Staat negativer als die Iran. Natürlich hat niemand derart beharrlich in diese Kerbe geschlagen wie Netanyahu. Aber Iran verstand und versteht sich eben auch als Speerspitze eines Ringens gegen «Kolonialismus», «Imperialismus» und «Zionismus» in der Region. Dieses wurzelt in der amerikanisch-britischen Kooperation beim Sturz des beliebten Präsidenten Mosaddegh und der Inthronisierung des Schahs 1953 sowie der Antagonie der Amerikaner gegen die zunächst noch heterogene und breit in der Bevölkerung verankerte Revolution von 1978.
Und diesen Kampf suchte Teheran durch die «Achse des Widerstands» und eine Rüstung mit Raketen und Drohnen zu führen. Dabei spielten die Interventionen Israels im Libanon 1982 und der Amerikaner im Irak 2003 Iran durch die Entstehung der Hisbollah und die Ausschaltung Saddam Husseins als Gegengewicht in die Hände. Dass diese Instrumente letztlich die Schwächen einer autokratischen, durch Sanktionen, Misswirtschaft und Korruption ausgehöhlten Volkswirtschaft kaschieren sollten, war Experten bekannt – und wird seit dem 7. Oktober offenkundig.
Ohnehin haben Umfragen gerade in historischen Tagen wie diesen kaum Gewicht. Zudem drängt eine starke Kongress-Mehrheit beider Parteien in den Worten von Senator Lindsey Graham, «Finish the Job!», darauf Fordo zu bombardieren und das Atom-Programm aus der Welt schaffen. Selbst Trump und Netanjahu gegenüber kritische Amerikaner äussern heute keine Sympathie für das Mullah-Regime. Dies gilt laut einer Reportage des «Forward» auch für jüdische Amerikaner, die nun quer durch politische Lager und religiöse Strömungen das Fenster für die Ausschaltung dieser schon lange über Israel hängenden Gefahr erkennen.
So ist durchaus denkbar, dass Trump seinen Daumen für einen Angriff auf Fordo herbeiführt. Aber die Tage, Wochen und Jahre danach machen ihm sicherlich kalte Füsse – oder sollten dies zumindest.
Andreas Mink ist US-Korrespondent von tachles.
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20. Jun 2025
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Andreas Mink