Sidra Bereschit 17. Okt 2025

Wann ruhte Gott?

Der Anfang des Buches Bereschit («Im Anfang»), des 1. B. M., schildert bekanntlich die Schöpfung der Welt in sechs Tagen plus einem Ruhetag Gottes. Viel ist, zumal nach der Verwissenschaftlichung des Blicks auf die Welt in der Neuzeit und der Moderne, darüber diskutiert worden, was unter diesen sechs Tagen eigentlich zu verstehen ist, die ja in der Thora durch Zeitzäsuren («es wurde Abend, es wurde Morgen») klar strukturiert und auch voneinander abgegrenzt sind.

Mit all diesen Fragen will ich mich hier nicht auseinandersetzen, sondern einzig mit einer Frage, die sich rein von der textimmanenten Lektüre der Sidra her stellt. Wann ruhte Gott eigentlich, und wie ist diese Ruhe zu verstehen?

Wenn die Erschaffung des Menschen «männlich und weiblich» (1,27) am Ende des sechsten Tages erfolgt, so kann das auf die Schöpfung des Adam und dann, in dem Bereich ab 2,4, als die Erschaffung der Welt mit Fokus auf Menschen erzählt wird, aus dessen «Seite» der Schöpfung der Frau (2,22) angewandt werden. Danach wird u. a. noch erwähnt, dass der Mann und die Frau nackt waren und sich dessen nicht schämten (2,25), womit der Schöpfungsteil endet.

Wenn wir den darauf unmittelbar folgenden Beginn des 3. Kapitels, der mit der Erwähnung der listigen Schlange beginnt, als Übergang von der Schöpfungsgeschichte zur «Geschichte der Menschheit» lesen (die mit der Sünde des Verzehrs der Frucht vom Baum des Wissens einsetzt und dann zur Vertreibung aus dem Garten Eden führt), so lässt sich das, was zwischen diesem Übergang – der durch die Wortnähe von «arumim» («nackt») und «arum» («listig») überbrückt wird – verschwiegen wird, natürlich als ein Zeitabschnitt von unbestimmter Länge lesen, unter welchen theoretisch der «göttliche Schabbat» fallen könnte. Doch gemessen daran, welche Bedeutung dieser göttliche Ruhetag, dessen Beschreibung u. a. zur Grundlage des Kidduschsegens am Freitagabend geworden ist (2,1–3), hat, wäre ein solches «Totschweigen» des eigentlichen Verstreichens dieses Schabbats eigenartig. Generell lesen wir ja die Erzählung von der verbotenen Frucht und der Vertreibung (gerade weil nicht nur die Wortgleichheit von «nackt» und «listig» frappiert, sondern weil die aus der Nacktheit neu generierte Scham von Adam und seiner Frau Chawa auch ein Kernelement der Geschichte von der verbotenen Frucht darstellt) als eng mit der Schöpfung des Menschen verbunden, wenn auch nicht mehr als Teil der Schöpfungsgeschichte. Wo also zwischen der Schöpfung des Menschen und dem Stress, der durch diese Schöpfung entsteht, liegt der göttliche Schabbat?

Es gibt zum siebten Schöpfungs- bzw. göttlichen Ruhetag zwei interessante Raschi-Kommentare. Der erste erscheint etwas kryptisch, der zweite umso aufschlussreicher. Raschi fragt sich, warum es heisst, «Gott vollendete am siebten Tag seine Arbeit, die er machte, und er ruhte am siebten Tag von all seiner Arbeit, die er machte». Wie kann derselbe Tag, an dem die Arbeit noch vollendet wird, auch der Tag sein, der ein Ruhetag war? Er bringt eine Erklärung, gemäss welcher Rabbi Schimon sagt, dass Gott, im Gegensatz zum Menschen, der eine klare Scheidung zwischen Werktag und Schabbat einziehen müsste, darin eintreten könne «wie ein haardünner Faden», sodass die Vollendung der Arbeit geradezu mit dem Beginn des Schabbats zusammenzufallen scheine. Raschi bringt dann eine weitere Erklärung (was er in der Regel tut, wenn ihn die erste nicht vollends befriedigt), nämlich dass die Ruhe, das bewusste und nicht einfach nur von der Notwendigkeit aufgezwungene Einstellen von Arbeit, eigentlich das Konzept gewesen sei, das die Schöpfung abgeschlossen habe, das die Welt sonst nicht gekannt hätte.

Die beiden scheinbar zusammenhangslos nebeneinanderstehenden Antworten können ergänzend gelesen werden. Wenn Gott «der haardünne Faden» reicht, um zwischen Arbeit und Ruhe zu unterscheiden, dann ist vielleicht der ganze Schabbat, an dem er geruht hat, ein solcher «haardünner» Faden gewesen, der die Zäsur zwischen den Schöpfungstagen und deren Ende markiert hat. Wesentlicher als das, dass Gott wirklich einen bestimmten Zeitabschnitt gar nichts getan hätte, wäre dann, dass er durch diese zeitlich praktisch unerkennbare Zäsur, hier «Ruhe» genannt, das Konzept der Ruhe geschaffen hätte, aus dem der Schabbat als unverzichtbarer Teil der Woche hervorgeht. Dieser wird für den jüdischen Menschen zugleich zum Fixpunkt der Woche wie auch zur Anerkennung dessen, dass er sich selbst und die Welt um sich als Teil der göttlichen Schöpfung versteht und entsprechend lebt.

 Alfred Bodenheimer