Sidra Chukkat 04. Jul 2025

Schlangen gegen fehlendes Gottvertrauen

Mosche ist bisher schon mehrmals infrage gestellt worden, manchmal berechtigt, manchmal destruktiv. Paraschat Chuqat bringt einen bedeutungsreichen Einschnitt: Nach dem Tod von Mirjam und Aharon leitet Mosche die Unternehmung Sinai fortan allein. Das Lagerleben bleibt dynamisch, es geht von Aufstand zu Aufstand.

Derweil ist das Volk unterwegs, Begegnung mit den örtlich ansässigen Völkern ist unvermeidlich. Manche Ortsfürsten halten ihre Grenzen für den Durchzug aber lieber dicht, weshalb auch kriegerische Situationen eintreten. Geforderte Umwege bringen Ungeduld und fördern die Reizbarkeit, auch bisher Akzeptiertem gegenüber. Einmal mehr monieren die Israeliten, dass sie wohl nur aus Ägypten herausgeführt wurden, um in der Wüste zu sterben, die Kritik geht diesmal sowohl gegen Gott als auch gegen Mosche.

In ihrer Unzufriedenheit bemängeln sie wieder einmal die himmlische Nahrung. Wasser und Brot gebe es nicht, und dem Manna gegenüber empfinden sie Überdruss. Ihre Seele sei «am Ende» über das «elende» Brot (Num. 21:5); andere Interpreten bringen «Widerwillen» über die «gehaltlose» Nahrung ins Spiel. Einmal mehr präsentiert die Thora für die israelitische Frustration ein sprachliches Juwel, was die Übersetzer halt zu so unterschiedlichen Lösungen bringt. In nur acht Silben kommt dreimal ein «quf» vor, der Buchstabe, der tief aus dem Hals kommt – fast hört man das Würgen! Die Seele ist «qaza», Nahrung «qeloqel», also nicht «sehr-leicht». Man könnte wohl an «leere Kalorien» denken … Die Speise sättigt nicht, weder physisch noch psychisch, gemeckert haben die Israeliten aber wegen des geografischen Umwegs.

Doch im Rahmen des biblischen Narrativs geht das natürlich gar nicht, denn damit kommt mangelndes Gottvertrauen zum Ausdruck. Deshalb folgt hier eine nächste Strafe oder eher eine erzieherische Massnahme: Schlangen. Schlangen sind, auch ohne dass sie giftig sind, keine angenehme Erscheinung, und hier ist nicht einmal ausdrücklich von Gift die Rede, sondern vielmehr von Feuer («saraf»). Brennend beissende («naschach») Schlangen («nachasch») suchen das Volk heim, beissen zu und lassen viele Israeliten sterben. S. R. Hirsch beobachtet ein grammatikalisches Detail, das ihn zu einem feinen Kommentar bringt: Gott «schickt» (qal) die Schlangen nicht, sondern «lässt sie los» (piel): «Sie waren immer in der Wüste vorhanden, allein bis dahin hielt sie Gottes fürsorgende Macht zurück; jetzt zog Gott diese sie zurückhaltende Macht zurück, und die Schlangen der Wüste folgten ihrem natürlichen Zug, dem das Volk erlag.» Das entsetzte Volk sieht seine Sünde ein und bittet Mosche um Vermittlung bei Gott.

So einfach geht das aber nicht, die göttliche Erziehung muss weitergehen. Eine durch Mosche geformte Brenn-Schlange («saraf») soll auf einer hohen Stange im Lager so positioniert werden, dass die Israeliten sie ansehen müssen. Und es soll gelten, dass jeder Gebissene, der dieses Gebilde anschaut, am Leben bleibt. Der Anblick einer Schlangenplastik als Gegengift? Das erinnert doch an die homöopathische Lehre, kommt aber ein bisschen als Hokuspokus daher. Zudem kann diese Therapie ja nur für diejenigen als Rettung funktionieren, die den Biss überlebt haben – was aber ist mit denjenigen, die vom Biss schon gestorben sind?

Schliesslich klärt sich im abschliessenden Vers dieser kurzen Episode etwas, das bisher keinerlei Erwähnung fand. Bisher war es eine Feuer-Schlange («saraf»), jetzt ist sie aus Kupfer («nechasch nechoschet»). Sind alle Schlangen rötlich? In Ägypten schützten Schlangen Pharao – ist das etwas, das die Israeliten vielleicht besser verstehen können? «Nachasch», «saraf», «naschach», «nechoschet», so viele Zischlaute bilden die Bewegung der Schlangen neckisch nach. Eine eigenartige Textpassage. Jetzt wird es wieder lakonisch: Die Israeliten zogen weiter.

Rabbiner Bea Wyler