«Nichts ist schöner und nichts erfordert mehr Charakter als sich in offenem Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein!»
Kurt Tucholsky
Aktionäre haben entschieden, dass Zeitungen in der Schweiz zunehmend schlechter und dünner werden. Der «Tages-Anzeiger» hat seinen Umfang halbiert, den Kulturbund vollkommen gestrichen, man sagt heute: Die Kultur geht in die Rubrik XY über, was dann bedeutet, dass es immer mal die Besprechung einer Serie unter dem neusten Autotest gibt.
Viele Journalistinnen wurden in den letzten Jahren in die Freiheit des Marktes übereignet. Die Zeitungsredaktionen weinen, sie betrauern sich und ihren Konzern, der sparen muss, während er mit Wohnraum-Plattformen Millionen Gewinn macht, die man, statt sie an Anleger zu zahlen, in ein gutes Medienprodukt stecken könnte.
Wir Abonnentinnen nehmen es hin, alles. Wir akzeptieren, ohne es zu hinterfragen, dass die Kassenprämien jährlich steigen, denn wir glauben, dass es unsere Schuld ist, weil wir zu alt werden. Die Pflegeheime sind unbezahlbar. Der Einkauf im Grenzgebiet darf bald nur noch bis zu einem Freibetrag von zehn Schweizerfranken stattfinden, wegen der Wirtschaft, die entschieden hat, dass die Lebensmittelpreise steigen, deine Gehälter aber nicht, ach ja, und wir glauben, dass Spitäler Gewinne machen müssen und dass es nicht normal ist, in der Stadt wohnen zu wollen, in der man eventuell geboren wurde, weil die Anleger entschieden haben – na ja, das Wachstum, Sie wissen schon. Verdammt, war es nicht einmal die Idee eines Staates, den Menschen ein würdiges Leben zu garantieren? Der Deal – der Zehnt gegen den Schutz vor Raubrittern, wann ging der verloren? Was sind wir verloren, wenn wir vor dem nächsten unabwendbaren Naturereignis gewarnt werden. Die KI – was für ein exzellenter Vermarktungs-Coups-Name für Codeketten – wird uns alle arbeitslos machen. Die KI, die rechnerische Bereiche sehr exzellent abdecken kann, soll nun auch noch töpfern, schauspielern, pflegen und reinigen. Kann sein. Es kann aber auch sein, dass wir einfach nein sagen. So wie die Mitarbeiter des öffentlichen Transports, seit Jahrzehnten ohne Lohnerhöhung, streikten, so wie die Menschen sich weigerten, in einem bargeldlosen Weihnachtsmarkt Geld auszugeben, oder bargeldlos ins Kunsthaus zu gehen, um sich eine Ausstellung von unklarer Herkunft anzusehen. Wir sind nicht ohnmächtig der Welthysterie ausgeliefert, wir können uns wehren – nein sagen. Gegen Judenhass, gegen dünne Zeitungen, den Abbau von Dienstleistungen, die Teuerung von allem. Wenn wir miteinander reden und merken, es geht fast allen gleich, und die Demokratie sind wir.
Sibylle Berg ist deutsch-schweizerische Schriftstellerinund Dramatikerin. Sie lebt in Zürich.
die literarische Kolumne
19. Dez 2025
Nein sagen
Sibylle Berg