standpunkt 11. Jul 2025

Ihr Kampf

Das 100. Jubiläum von Adolf Hitlers berüchtigtem Buch «Mein Kampf» ist kein Grund zum Feiern. Ein Buch, das genau zehn Jahre später unter dem Titel «Sein Kampf – Antwort auf Hitler» erschien, ist es jedoch. Dieses Buch, das den Zweck verfolgte, die «Hakenkreuzbibel» zu widerlegen, wurde von der frommen Katholikin und «Arierin» Irene Harand (1900–1975) geschrieben. Aus humanistischen und religiösen Gründen erkannte sie die Irrtümer und Gefahren der nationalsozialistischen Ideologie, insbesondere die rassistischen, und wollte sie um jeden Preis bekämpfen.

Harands Engagement begann jedoch nicht erst mit diesem Buch. Die junge Wienerin wurde bereits Anfang der 1930er Jahre aktiv, als sie den zunehmenden Antisemitismus und die schlechte Behandlung von Juden in Europa miterlebte. Sie nahm sich zur Aufgabe, aufzuzeigen, dass das Christentum das genaue Gegenteil von Antisemitismus und Rassismus ist. Zu diesem Zweck organisierte sie Vorträge in ganz Europa und gründete die Weltbewegung gegen Rassenhass und Menschennot, die später als Harand-Bewegung bekannt wurde. 1933 begann sie, die Wochenzeitung «Gerechtigkeit», das Sprachrohr der Harand-Bewegung, mit dem Motto «Gegen Rassenhass und Menschennot» herauszugeben. In jeder Ausgabe der Wochenschrift stand Harands Zitat: «Ich bekämpfe den Antisemitismus, weil er unser Christentum schändet.»

In diesem Jahr veröffentlichte Irene Harand, damals stellvertretende Vorsitzende der Kleingruppierung Österreichische Volkspartei (ÖVP), ihre erste Streitschrift gegen den Nationalsozialismus mit dem Titel «So oder so – Die Wahrheit über Antisemitismus». Noch im selben Jahr wurde sie ins Jiddische übersetzt und erschien unter dem Titel «Azoi oder azoi? Der emet wegen antisemitism». Bereits hier wird ihr Kampf gegen den Kern der antisemitischen Propaganda der Nationalsozialisten deutlich. Mit Kapiteln über die gefälschten «Protokolle der Weisen von Zion», die Lügen über den Talmud, die sogenannten Blutfibeln, durch die Juden in Verruf gebracht wurden, sowie über die Unwahrheiten über die Beziehung der Juden zu Kapital, Bolschewismus und Freimaurerei und ihre angebliche Verantwortung für alles Schlechte in Deutschland, entlarvte sie die nationalsozialistische Bewegung als das, was sie war: eine Hass- und Lügenbewegung. Unermüdlich setzte sich Harand ein, investierte viel von ihrem eigenen Geld und brachte sich damit in grosse Gefahr. So wurde sie schnell zum Gesicht der antifaschistischen Bewegung in Österreich und erlangte weltweite Bekanntheit.

Es war jedoch im Jahr 1935, also genau zehn Jahre nach der Veröffentlichung von Hitlers «Mein Kampf», und kurz vor dem Anschluss Österreichs, als sie sich direkt mit dem «Führer» anlegte. Mit dem polemischen Titel «Sein Kampf» stellte sie sich offen gegen Adolf Hitler. Darüber hinaus stellte sie die Wahrheit der Lüge und das christliche Kreuz dem sogenannten Hakenkreuz entgegen. So hoffte sie, zumindest die zahlreichen Christen, die Zeugen der nationalsozialistischen Gräueltaten gewesen waren, zurückzugewinnen. «Die Lüge ist eine unsaubere Waffe, die Lüge ist ein Verbrechen gegen Gott, gegen die Natur und die Menschen. Darum will ich das Hakenkreuz entlarven. Die Welt soll erkennen, dass das Hakenkreuz durch Missachtung der Religion, der Sitte und der Moral, durch Schändung der Wahrheit und der Gerechtigkeit seinen Sieg errungen hat, und dass es die Pflicht aller Menschen und Völker ist, das Hakenkreuz zu bekämpfen, damit sich diese Pest nicht über die Grenzen des Dritten Reiches hinaus verbreite und damit auch die Millionen, die in dem deutschen Käfig schmachten, erlöst werden.»

In ihrem Buch kritisierte Harand das wichtigste Propagandamittel der Nazis, die Zeitschrift «Der Stürmer», was zu zahlreichen Artikeln und einer Verleumdungsklage gegen sie führte. Sie hatte auch populäre Hauptpublikationen der Nazis angegriffen, darunter das berüchtigte Buch «Juden sehen dich an» von Johann von Leers, dem sie ein ganzes Kapitel widmete. «Sein Kampf» wurde in Deutschland sofort verboten, wodurch Harand in noch grössere Gefahr geriet. Sie gab jedoch nicht auf, sondern verschickte das Buch weiterhin in alle Welt und bemühte sich, es in viele Sprachen übersetzen zu lassen. Gleichzeitig trat Harand mit ihrem Buch weltweit auf. Im April 1936 besuchte sie anlässlich einer grossen Veranstaltung der Europa-Union auch Zürich, wo eine Zweigstelle der Harand-Bewegung gegründet wurde. Als 1937 in Berlin die antisemitische Ausstellung «Der ewige Jude» mit der Absicht eröffnet wurde, alle Beiträge der Juden zur westlichen Kultur zu diffamieren, setzte Harand alles daran, die falschen Prämissen der Ausstellung zu widerlegen. So liess sie Briefmarken mit bedeutenden Juden aus der Geschichte wie Heinrich Heine, Paul Ehrlich, Walter Rathenau und Baruch Spinoza drucken, um den grossen Beitrag der Juden zur westlichen Kultur und Gesellschaft zu verdeutlichen.

Was ihr möglicherweise das Leben gerettet hat, war die Tatsache, dass sie im Jahr 1938 in London Vorträge über ihr Buch hielt, während die Nazis in Österreich einmarschierten. Auf sie wurde ein Kopfgeld von 10 000 Mark ausgesetzt, ihre Bücher wurden in Wien verbrannt. Nach vielen Gerüchten über ihren Tod erschien Harand im Herbst 1938 in New York und setzte sich dort für die Beschaffung von Visa für jüdische Familien ein, damit diese in die Vereinigten Staaten einreisen konnten. Ausserdem gründete sie die Austrian-American League, um österreichischen Flüchtlingen vor dem Nationalsozialismus zu helfen, und wurde Direktorin der Frauenabteilung der Anti-Nazi League of New York. Nach dem Krieg wurde Harand eine grosse Unterstützerin und Bewunderin des jungen Staates Israel und bezeichnete sich selbst als Zionistin. Im Oktober 1968 wurde sie von der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem als «Chasidat umot olam» («Gerechte unter den Völkern») anerkannt.

Irene Harand starb vor 50 Jahren, im Jahr 1975, in New York. Obwohl sie zu Unrecht in Vergessenheit geraten ist, während der Mann, gegen den sie gekämpft hat, leider in Erinnerung geblieben ist, sollte man sich ihrer als einer der mutigsten Frauen bewusst sein. In einer Zeit, in der viele andere geschwiegen haben, führte sie unermüdlich ihren Kampf für die Wahrheit und gegen Antisemitismus.

Oded Fluss ist Leiter der Bibliothek der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich.

Oded Fluss