standpunkt 16. Mai 2025

Flagge zeigen

Um seine unverbrüchliche Solidarität mit Israel auszudrücken, hat der Bürgermeister der südfranzösischen Metropole Nizza das Hôtel de Ville ständig mit der israelischen Flagge bestückt. Nicht erst seit dem 7. Oktober 2023 weht der «drapeau tricolore» zusammen mit dem Sternenbanner Europas und dem Magen David Israels. Bürgermeister Christoph Estrosi setzte bereits mehr als zwei Jahre zuvor dieses Zeichen, als Israel nach einer begrenzten militärischen Aktion im Gazastreifen in der Kritik stand.

Das Stadthaus an der Côte d’Azur ist mir in den Sinn gekommen, als ich die drei Namen der nicht jüdischen Redner an der diesjährigen Delegiertenversammlung des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds (SIG) in Zürich vom nächsten Sonntag gesehen habe.

Nicht einmal dann, als Israel und die jüdische Bevölkerung auf der ganzen Welt noch im Schockzustand des Hamas-Hass-Pogroms mit den über 1200, teilweise bestialisch ermordeten Menschen und 250 entführten Geiseln gestanden haben, konnte sich der Zürcher Stadtrat mit seiner Präsidentin Corine Mauch an der Spitze dazu aufraffen, auf der Quai-Brücke wenigstens für ein paar Tage die Israel-Flagge zu zeigen. Dort, wo auch einmal gut sichtbar die gelb-blauen Farben der Ukraine im Wind flatterten – aus Solidarität mit dem von Russland angegriffenen Land. Notabene: Es gab damals noch keine Kriegspläne, geschweige denn den leider nicht enden wollenden Krieg Israels gegen die Unmenschen der Hamas-Terrororganisation.

SIG-Ehrengast und damit offizieller Gastredner ist Bundesrat Beat Jans. Ausgerechnet Beat Jans. Am 7. Oktober 2023 war der Politiker noch Basler Regierungspräsident. Nach der harschen Kritik, damals nicht umgehend öffentlich auf das Hamas-Massaker reagiert zu haben, bedauerte er dies. Und drückte später, wie auch Corine Mauch, den hiesigen Jüdinnen und Juden seine volle Unterstützung aus, die sich hierzulande nicht zu verstecken bräuchten. Was gerade noch gefehlt hätte. Druck des Basler Parlaments führte dazu, die Israel-Fahne am Basler Rathaus doch noch zu hissen. In jener Stadt, wo Theodor Herzl 1897 «den Judenstaat» gegründet hat.

Beat Jans wird am Sonntagabend in Zürich in Begleitung eines uniformierten Bundesweibels SIG-Ehrengast sein. Der gewiss würdevoll auftretende Staatsmann wird mithilfe seiner Redenschreiber wohl vorbereitete und gedrechselte Worte vortragen. Sie kommen aus dem Mund jenes Mannes, der am 15. März 2018 als Basler Nationalrat in Bern gegen ein Postulat gestimmt hatte, das die Hamas verbieten beziehungsweise als Terrororganisation einstufen wollte. Darin ist u. a. folgender Satz zu finden gewesen: «Die Hamas verherrlicht Gewalt gegen jüdische Menschen und stellt im Gazastreifen offenbar selber Raketen für andere terroristische Gruppierungen her.» Derselbe Mensch, der diesem Argument damals offenbar nicht zugänglich gewesen ist, verkündete gut drei Monate nach seiner Wahl in die Schweizer Regierung am 19. März 2024 als neuer Justizminister, dass der Bundesrat die islamistische Palästinenserorganisation Hamas nun doch für fünf Jahre verbieten will.

Zum Glück gibt es am Sonntagabend mit dem Zürcher Regierungsrat Mario Fehr eine Persönlichkeit, die Goethes Diktum «Der Worte sind genug gewechselt, lasst mich endlich Taten sehen» aus eigenem, ehrlichem Antrieb beherzigt. Fehr wird am Sonntag mehr als ein sich anbiedernder Grüssapostel sein. Der Adliswiler tritt nicht nur verbal für die jüdische Bevölkerung ein. Er hat privat jüdische Freunde und stellt sich als Redner aufs Podium, das vorne und hinten eine Israel-Flagge zeigt. Als kantonaler Justizdirektor hat er genug Zivilcourage, um in die Kommunalpolitik der Stadtzürcher Regierung einzugreifen, wenn er findet, eine Anti-Israel-Demonstration gehöre verboten. Er lässt durch seine Direktion einen ausländischen Judenhasser verhaften, der Raketenangriffe Irans gegen Israel als «humanitären Akt» bezeichnet hat.

Vielleicht hätte es dem SIG gut angestanden, für einmal Flagge und Zivilcourage zu zeigen und auf Bundesrat Beat Jans als Ehrengast zu verzichten. Analog zu Sigi Feigel, der als ICZ-Präsident den damaligen österreichischen Bundeskanzler Bruno Kreisky für einen Vortrag kurzerhand wieder ausgeladen hatte. Dies, nachdem Kreisky das Durchgangslager Schönau für jüdische Auswanderer aus dem Ostblock aus Angst vor arabischem Terror im Oktober 1973 geschlossen hatte.

Immerhin wären für Beat Jans noch sechs andere Kandidatinnen und Kandidaten aus dem Bundesrat für das sonntägliche Gastreferat in Zürich zur Verfügung gestanden, die nicht im Verdacht stehen, als Privatperson dem Staat Israel ablehnend gegenüberzustehen: In Basel jedenfalls ist seit eh und je bekannt, dass der Mensch und SP-Politiker Beat Jans nie viel für den jüdischen Staat übrig hatte.

Roger Weill war in den 1990er-Jahren Redaktionsleiter der «Jüdischen Rundschau» und des «Israelitischen Wochenblatts».

Roger Weill