«Wenn wir nicht mehr hoffen können, wenn wir nicht mehr lernen können, zu hoffen, dann kommt das, was wir befürchtet haben.»
Ernst Bloch, Leipzig 1977
Lieber Cédric Wermuth Morgen findet der Parteitag der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz (SP) statt. Daher wende ich mich mit diesem offenen Brief an dich. Ich bitte dich und den gesamten Parteivorstand eindringlich, dafür einzustehen, dass die Debatte nicht in eine Stimmung kippt, die antisemitische Bilder, Begriffe oder Emotionen hervorruft – ob intendiert oder nicht. Es liegt in eurer Verantwortung, dies aktiv zu verhindern.
Eine engagierte und auch kontroverse Auseinandersetzung über den Krieg in Gaza und die Lage im Nahen Osten hat selbstverständlich ihre Berechtigung. Aber ich appelliere an euch, bei dem Begriff «Genozid» äusserste Sorgfalt walten zu lassen. Dieser Begriff trägt in Bezug auf die Juden eine historische Last, die nicht abstrakt ist, sondern zutiefst existenziell wirkt.
Ich schreibe dies als Schweizer, Deutscher und israelischer Staatsbürger mit einer tragischen Familiengeschichte – und als jemand, der seit 60 Jahren SP-Mitglied ist. Letzte Woche nahm ich an einer Gedenkfeier für den Genozid an den badischen Juden teil. Antifaschisten, jüdische Gemeinden, Kirchenvertreter und auch viele Genossinnen und Genossen nahmen teil. In solchen Momenten gerate ich zunehmend in Erklärungsnot, wenn ich auf die Haltung der SP zu Demonstrationen und dem Gaza-Krieg angesprochen werde – gerade gegenüber Menschen, die sonst an unserer Seite stehen.
Ich sage dies mit aller Deutlichkeit: Sollte der Parteitag den Begriff «Genozid» in Bezug auf Israel verwenden und das Land aus diesem Grund politisch sanktionieren wollen, könnte ich das nicht mittragen. Das wäre ein Bruch mit der historischen Verantwortlichkeit unserer Partei und würde das Vertrauen vieler jüdischer Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in ihre politische Heimat erschüttern. Dies darf nicht geschehen.
Ich bitte dich und euch deshalb mit Nachdruck um Sensibilität, Verantwortung und politisches Augenmass. Kritik an der israelischen Regierung ist notwendig und legitim. Aber sie muss sprachlich und moralisch so geführt werden, dass sie nicht historische Wunden aufreisst und nicht in antisemitische Denkmuster abgleitet – auch nicht unbeabsichtigt.
Erich Bloch ist SP-Mitglied, alt Kantonsrat, Initiant der SP-Charta.
standpunkt
24. Okt 2025
Eine Bitte um politisches Augenmass
Erich Bloch