romandie 05. Sep 2025

Zwischen Kritik und Angst

Die CICAD und ihr Generalsekretär Johanne Gurfinkiel sehen sich Kritik ausgesetzt, Sprachrohr von Israels Regierung zu sein.

Die Coordination intercommunautaire contre l’antisémitisme et la diffamation wird in Genf von der Linken angegriffen, doch die Reaktion ist entschlossen.

Der 7. Oktober 2023 hat die jüdische Gemeinschaft gelehrt, widerstandsfähig zu sein. Auch in der Westschweiz, wo es immer wieder zu propalästinensischen Demonstrationen in den Innenstädten und illegalen Besetzungen an Universitäten durch Aktivisten, insbesondere in Genf und Lausanne, kam. Ganz zu schweigen von einer Mainstreampresse, die Israel einhellig vehement kritisiert.

Die Coordination intercommunautaire contre l’antisémitisme et la diffamation (CICAD) und ihr Generalsekretär, die sich sehr für ihre Mission engagieren, mussten sich diesen Sommer wiederholten Angriffen durch einige hartnäckige Antizionisten stellen.

Subventionstopp gefordert
Auslöser war ein Leserbrief, der am 16. Juli in der «Tribune de Genève» erschien. «Hören wir auf, die CICAD zu subventionieren», forderte der Regisseur Dominique Ziegler. Der Sohn des ehemaligen Nationalrats Jean Ziegler griff die CICAD regelrecht an: «Die CICAD ist seit Jahrzehnten etabliert und erhält von der Stadt Genf eine jährliche Subvention von 100 000 Franken, zusätzlich zu den 2 Millionen Franken von privaten Spendern. Diese Organisation ist problematisch. Sie gibt vor, gegen Antisemitismus zu kämpfen, verbreitet jedoch eine zweifelhafte Vermischung von Judentum und Zionismus und setzt diejenigen, die gegen die Politik Israels demonstrieren, mit Antisemiten gleich.» Er fügte hinzu: «Ihr Generalsekretär, der in den Medien allgegenwärtig ist, hat unter anderem die Genfer Kulturstätten, die die Charta ‹Apartheid Free Zone› unterzeichnet haben (das heisst, die sich weigern, mit Künstlern oder Institutionen zusammenzuarbeiten, die mit der israelischen Regierung und Siedlungen in Verbindung stehen), mit ‹judenreinen› Orten gleichgesetzt. Unsere politischen Behörden müssen aufhören, eine solche Organisation zu legitimieren. Unsere Steuern dürfen nicht länger zur Subventionierung der CICAD verwendet werden.»

Interessanterweise verschwieg der Regisseur, der hier in der Rolle des Zensors auftritt, dass seine Theatergruppe von erheblichen Subventionen profitiert. Dieser Vorwurf wurde ihm einige Tage später von einer FDP-Gemeinderätin der Stadt Genf in einer empörten Stellungnahme in der «Tribune de Genève» gegen seine Verallgemeinerungen öffentlich gemacht.

Kritische Stimmen
Neben Dominique Ziegler legten am 22. August auch der Filmemacher Jakob Berger, der Schriftsteller Quentin Mauron, die Julia Steinberger von der Universität von Lausanne und der Abgeordnete Sylvain Thévoz in derselben Zeitung nach. Sie schreiben: «Die CICAD nutzt und missbraucht Verallgemeinerungen, um Bewegungen anzugreifen, die die in Gaza begangenen Verbrechen anprangern, und wird so zum blossen Sprachrohr des israelischen Regimes.» Über Johanne Gurfinkiel schrieben sie: «Der Generalsekretär der CICAD verfolgt eine Logik der systematischen Verunglimpfung von Gruppen und Bewegungen, die sich für die Achtung der Menschenrechte einsetzen. Er greift die Presse, Vereine, Politiker und Künstler an und schwingt dabei immer denselben Vorwurf: Antisemitismus.»

Diese wiederholten Anschuldigungen riefen nach einer Reaktion. Zunächst antwortete Laurent Selvi, Präsident der CICAD, am 29. August in der «Tribune de Genève» seinen Kritikern entschieden: «Das Thermometer zu zerbrechen, hat noch nie das Fieber gestoppt. Es scheint keine Rolle zu spielen, dass die CICAD alle jüdischen Gemeinden der Romandie vertritt, deren Präsidenten aktiv im Vorstand sitzen, und dass ihr Generalsekretär ihre Entscheidungen umsetzt. Es scheint auch keine Rolle zu spielen, dass damit die überwiegende Mehrheit der Juden der Romandie zu Wort kommt. Auch dass die Berichte der CICAD sich strikt an die internationale Definition von Antisemitismus der International Holocaust Remembrance Alliance halten, deren Relevanz der Bundesrat 2021 offiziell anerkannt hat und die von vielen Ländern, darunter allen unseren Nachbarn, übernommen wurde, spielt anscheinend keine Rolle.» Selvi fährt fort: «In der radikalen Doktrin der Autoren sind sie selbst die Vorbilder für das Richtige, und es ist nicht Sache der Juden, zu bestimmen, was antisemitisch ist. Es gibt Auswüchse, die die Autoren nicht sehen wollen und die sich mit Gewalt vermehren. Diese sind physischer Natur: ein Mann, der in Zürich niedergestochen wurde, eine Frau, die in einer Genfer Strassenbahn angegriffen wurde, oder ein kleines Mädchen, das von seinen Mitschülern verprügelt wurde; aber auch symbolischer Art: das Lied ‹Khaybar Khaybar ya yahud›, das das Massaker an den Juden im 7. Jahrhundert feiert und bei Demonstrationen gesungen wird, die Fahnen terroristischer Bewegungen, die in Umzügen geschwenkt werden, oder auch ein jüdisches Kulturfestival, das im Kino verboten wurde.»

Die letzte Episode dieser traurigen Geschichte war die öffentliche Empörung der Präsidenten der beiden wichtigsten jüdischen Gemeinden in Genf, der Communauté israélite de Genéve (CIG) und der liberalen Juden der Communauté juive libérale de Genève (GIL). In der «Tribune de Genève» vom Montag war zu lesen, dass Roseline Cisier (CIG) und Dominique-Alain Pelizari (GIL) am 21. Juli einen Brief an Thomas Wenger, den Präsidenten der Genfer Sozialdemokratischen Partei (SP), geschickt hatten. Darin verurteilten sie den SP-Grossrat Sylvain Thévoz, der «sich bemüht, die Handlungen, Äusserungen und sogar die institutionelle Präsenz der Organisation zu delegitimieren, die in der Westschweiz die jüdischen Gemeinden im Kampf gegen Antisemitismus vertritt.»

Die «Tribune» erinnert daran, dass in einem früheren Schreiben vom 16. Juni der Präsident der CICAD, Laurent Selvi, gefordert hatte, die Äusserungen von Sylvain Thévoz zu widerrufen.

Antwort des SP-Präsidenten
Thomas Wenger antwortete am 26. August: «Diese Vorwürfe erscheinen uns angesichts der uns vorliegenden Veröffentlichungen und Informationen unbegründet.» Der Präsident der SP betonte die Meinungsfreiheit und lud Johanne Gurfinkiel und den Abgeordneten zu einem «offenen und konstruktiven Dialog» ein.

Er erinnerte an die Forderung nach Freilassung der Geiseln und betonte, dass es «unmöglich sei zu schweigen» angesichts der systematischen Zerstörung Gazas durch die israelische Armee, der Ermordung von Zehntausenden Zivilisten, Kindern, Journalisten und medizinischem und humanitärem Personal sowie der strengen militärischen Blockade, die zu einer «unbeschreiblichen Hungersnot» führe. So die gängige linke Argumentation.

Angesichts der aktuellen Ereignisse im Nahen Osten, der UN-Generalversammlung, die sich mit der Anerkennung des Palästinenserstaates befasst, und dem Beginn des neuen akademischen Jahres dürfte der September in Genf, ebenso wie anderswo, heiss werden.

Edgar Bloch