Die Folgen des Hamas-Massakers vom 7. Oktober 2023 wirken auf die Überlebenden, wie wenn sie zu lebenslänglich verurteilt worden wären. Ofrit Shapira-Berman (l.) lehrt an der Hebräischen Universität Jerusalem (HUJ). Seit mehr als 30 Jahren behandelt Shapira Traumatisierte von unterschiedlichsten Terroranschlägen, sagte sie, doch was der verheerende Überfall bei den Überlebenden, ihren Familien und in der Gesellschaft an Grundvertrauen zerstörte, übertraf ihre bisherigen Erfahrungen. Bei ihrem Erfahrungsbericht, den sie vorgestern Mittwoch im Gemeindezentrum der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich (ICZ) vortrug, wies sie darauf hin, wie hilfreich für Traumatisierte sei, wenn sie sich mit Mitmenschen austauschen können. «Die körperlichen Schädigungen können behandelt werden», sagte die Referentin an der Benefizveranstaltung der Freunde der HUJ der deutschsprachigen Schweiz. Die medizinische Versorgung in Israel sei einwandfrei, präzisierte sie, doch die seelischen Verletzungen seien Terroropfern nicht anzusehen. Als Beispiel nannte die Referentin eine 18-jährige, deren Eltern und Geschwister ermordet worden waren. «Ein Jahr lang war sie als Soldatin im Dienst. Im zweiten Jahr aber wurde sie depressiv.» Die langfristigen Folgen für die israelische Gesellschaft seien noch gar nicht absehbar, so Shapira. Widerspruch äussert sie bei der Befürchtung, dass nach dem Krieg möglicherweise die Zahl der Selbstmorde sehr stark steigen könnte. Die Therapeutin zeigte sich trotzdem hoffnungsvoll; sie bekannte sich zu Menschlichkeit als einer treibenden Kraft. Für ihre Ausführungen interessierten sich 90 Anwesende, die anschliessend auch das Gespräch der Traumaspezialistin mit der «Haaretz»-Redakteurin Netta Ahituv (r.) verfolgten.
zürich
12. Sep 2025
Menschlichkeit gegen Trauma

Vivianne Berg