Über die Stadt Bern wurde kürzlich ein Bericht mit rund 30 antisemitischen Vorfällen im Kulturbereich publiziert – die zuständigen Behörden wollen sich gegen Antisemitismus stellen, gehen jedoch auf Kritik nicht ein.
Am 13. August forderte eine Gruppe von jüdischen und antisemitismuskritischen Kulturschaffenden von den städtischen Behörden eine klare Haltung «gegen Judenhetze und Terrorverherrlichung». Jüdisches Leben sei schliesslich ein «integraler Teil dieser Stadt, dieser Kultur und ihrer Geschichte, mit und ohne Israel.» In ihrem Bericht hält die Gruppe rund 30 Vorfälle von verbalen und tätlichen Drohungen und Angriffen fest. Sie beschreibt an Berner Beispielen, wie seit dem 7. Oktober 2023 «jüdisch» oder «israelisch» gelesene Kunst mit dem Label «zionistisch» markiert und zum Paria gemacht wird. So wurde etwa ein Wandbild mit Anne Frank zerstört, eine Kulturveranstaltung zum 7. Oktober wäre ohne Security unterbrochen worden, Projekte mit jüdischen Themen haben gemäss dem Bericht zunehmend Mühe mit Förderung, auch von der Stadt selbst.
Derweil würden Berner Kulturlokale, die offen ihre Bewunderung für den «Widerstand» der Hamas zelebrieren, weiterhin mit öffentlichen Geldern unterstützt. Für Personen, die im Verdacht stehen, «Zionisten» zu sein, seien diese Orte in den letzten ein, zwei Jahren zu No-Go-Areas geworden. Die Autorengruppe fordert, jüdisches Leben müsse wieder seinen selbstverständlichen Platz haben. Die im Folgenden erwähnten Namen und Ereignisse basieren nicht nur auf dem Bericht vom 13. August, sondern auch auf Gesprächen mit Betroffenen, Kulturschaffenden, Politikern und Behörden sowie auf Beobachtungen vor Ort.
Hotspot Schützenmatte
Die Schützenmatte, über Bern hinaus bekannt für die Strassenschlachten des vermummten Schwarzen Blocks mit der Polizei, ist denn auch ein Hotspot, wo sich der linksautonome «Widerstand» seit Jahrzehnten formiert. Seit dem 7. Oktober 2023 richtet er sich verschärft gegen den «Zionismus». «Zionisten» sind hier per definitionem «Unterdrücker», manchmal auch gleich «Nazis» oder «Faschos». Zahlreiche Beispiele im Bericht führen zur autonom verwalteten Reitschule und zum Club «Kapitel/In Transformation». DJ Phrex alias Juan Avile, ein gebürtiger Syrer, legt hier arabische Raps auf, die zur Intifada aufrufen. Im Frühjahr 2024 trat hier der Europa-Koordinator des Terrornetzwerks Samidoun/PFLP auf. Das «Ciné Résistance» zeigt inzwischen vor allem «israelkritische» Filme, die Israel als «Siedlerkolonie» darstellen, ohne Existenzrecht; von hier brach im Mai 2025 auch eine Gruppe nach Basel auf, um mit BDS und Samidoun/PFLP gegen den israelischen Auftritt am Eurovision Song Contest mit Störaktionen zu protestieren. Clubbetreiber Dino Dragic-Dubois organisierte von hier aus mit der Gruppe «Queers for Palestine» Störaktionen an den Bern Prides 2024 und 2025.
Um im Parameter Schützenmatte als «Zionist» zu gelten, braucht es wenig. Der Bericht nennt etwa das Beispiel, wonach die Erwähnung der israelischen Geiseln an einem Podium im «Kapitel» dazu geführt habe, dass die Besucherin vom anschliessenden Apéro ausgeschlossen wurde, ein ansonsten auf Inklusion bedachter Kulturort. Seit längerem als «Zionist» markiert und bedroht wird der Künstler Johannes Lortz, der früher im «Kapitel» ein und aus ging. Auf der Schützenmatte erinnern seine Wandbilder an jüdische Geschichte und Widerstand. Sie überdauern inzwischen kaum mehr als ein, zwei Tage bis zu ihrer Zerstörung. Schlagzeilen machte zuletzt sein Bild im April zum Auftritt der Sängerin Sophie Hunger in Bern. Aufgrund früherer Äusserungen war sie in den sozialen Medien plötzlich als «Zionistin» verrufen. Lortz malte als Hommage daraufhin ein Wandbild auf der Schützenmatte, um sie willkommen zu heissen. Das Bild war am Tag darauf zerstört und mit einem metergrossen roten Dreieck auf dem Spitz übersprayt. Das rote Dreieck, ein gängiges Symbol der Hamas und populär beim «Widerstand», bedeutet: Wir haben dich im Visier, verschwinde von hier. Eine Drohung.
Rote Dreiecke und verbale Drohungen im öffentlichen Raum beschränken sich in Bern längst nicht auf die Schützenmatte. Etwa 20 Gehminuten von der Schützenmatte entfernt hat die jüdische Künstlerin Lea Stern (Name geändert, Anm. d. Red.) ihr Atelier. Seit November 2024 sind bis heute in ihrer unmittelbaren Umgebung, auf ihrem Parkplatz, an der Eingangstür und auf der unmittelbaren Umgebung 40 rote Dreiecke und Parolen gegen sie als «Zionistin» gemalt oder gesprayt worden. Sie kennt die Bedeutung des roten Hamas-Dreiecks, gegenüber tachles betont sie: «Ich habe keine Angst. Ich gehe nicht.» Sie hat bereits mehrfach Anzeige erstattet, unternommen wurde zu ihrem Schutz bisher nichts.
Mit Störungen müssen auch Veranstaltende rechnen, die sich jüdischen oder israelischen Themen widmen. Als das Theater an der Effingerstrasse im September 2024 den Wiener Autor Doron Rabinovici dazu einlud, sein Werk «Der siebente Oktober» vorzustellen, engagierte es zum ersten Mal in seiner Geschichte einen Sicherheitsdienst. Tatsächlich tauchte Juan Avile vom «Kapitel» mit Kollegen und Palästinaflagge vor dem Lokal auf, die Störung konnte verhindert werden.
Hoher Preis für die Bedrohten
Obschon bei vielen Vorfällen die Täter und Täterinnen bekannt sind oder sich der Kreis der Verdächtigen auf eine kleine Personenzahl beschränkt, sind sie bis heute unbehelligt geblieben. «Der Kulturplatz Bern ist heut kein «Safe Space» für Menschen, die Empathie für Juden bzw. Israel zeigen, geschweige denn für diese selbst», heisst es in einem Schreiben an die Stadtregierung im Nachklang auf den Anlass von Rabonivici. Den Preis habe dafür das Theater bezahlt, mit hohen Sicherheitskosten und Mindereinnahmen, weil der Anlass aus Sicherheitsgründen in keiner Veranstaltungsagenda stand. «Es wäre Aufgabe der Stadt gewesen, eine Atmosphäre, einen ‹Safe Space›, zu schaffen, wo solche Massnahmen nicht im Entferntesten nötig wären. Doch dem ist nicht so.»
Gut vernetzt in der Politik
Eine mögliche Erklärung dazu ist im Bericht zu finden: Die Akteure der Schützenmatte sind keine Einzelgänger, sondern in der Kulturszene und in der Stadtpolitik bestens vernetzt. Die heute dominierende linksidentitäre, postkoloniale Ideologie, welche Juden mit «Weissen» und «Zionismus» mit Rassismus gleichsetzt, ist in den rotgrünen Fraktionen des Stadtrats – die Mehrheit – ebenso zu finden wie beim «Widerstand» auf der Schützenmatte. Entsprechend ist auch die 50-köpfige Kulturkommission, die Gesuche fördert oder ablehnt, zusammengesetzt. Bei mehreren Fällen bestehen gemäss Bericht Hinweise auf die Benachteiligung jüdischer Personen oder Themen aufgrund von Doppelstandards. Kunst werde generell zunehmend unter politischen statt ästhetischen Gesichtspunkten bewertet. Dies führe auch in Berns Kulturpolitik dazu, dass Personen oder Projekte, die «zionistisch» gelesen werden, als «politisch inkorrekt» gewertet und zunehmend an den Rand gedrängt werden.
Die Stadt nimmt Stellung
Die Stadtregierung wurde bereits im Zusammenhang mit dem Vorfall beim Theater an der Effingerstrasse kritisiert. Die Antwort der Stadt darauf vom Juli liegt tachles vor, ebenso die Stellungnahmen zum Antisemitismusbericht vom 13. August. Sie enthalten jeweils dieselbe Einleitung: «Die Stadt Bern stellt sich klar und entschieden gegen Rassismus, Antisemitismus und Diskriminierung in allen Formen.» Gegenüber dem Theater an der Effingerstrasse «bedauert» die Stadtregierung den Mehraufwand punkto Sicherheit, der «durch die momentane Lage verursacht» sei. Weitere Hilfestellungen bleiben aus. Den Vorwurf der Doppelstandards in der Kulturförderung beantwortet die Berner Kulturchefin Franziska Burkhardt gegenüber tachles: «Kultur Stadt Bern sieht keine Anhaltspunkte, dass die Förderpraxis den ausgeführten Grundsätzen nicht entsprechen würde.» Und in Kenntnis der Situation von Lea Stern verweist Burkhardt auf die zuständige Polizei. Im gleichen Mail schreibt auch sie: «Die Stadt Bern stellt sich klar und entschieden gegen Rassismus, Antisemitismus und Diskriminierung in allen Formen.»
Trotz der aktuellen Passivität der Stadtbehörden wird sich die Situation auf der Schützenmatte bald verändern: Ende September schliesst das Lokal «Kapitel/In Transformation». Die Nachfolge ist noch nicht bestimmt. Akteure wie Dino Dragic-Dubois, DJ Phrex alias Juan Avile oder die Mitglieder von Ciné Résistance werden jedoch nicht von der Oberfläche verschwinden.