Der US-Rapper Macklemore sorgt mit Holocaust-Verharmlosung für Aufsehen – ein offener Brief fordert die Organisatoren heraus.
Der US-Rapper Macklemore tritt nächsten Mittwoch am Berner Gurtenfestival auf. Er ist mit Holocaust-Verharmlosungen sowie Dämonisierungen von Juden und Israel aufgefallen. Einem offenen Brief «gegen Hetze auf dem Gurten» setzen die Organisatoren die künstlerische Freiheit entgegen. Eskalationen wie kürzlich an Festivals in den USA und Grossbritannien sowie am ESC in Basel sind kein Anlass für Massnahmen zur Gewaltprävention.
Nadine Brönnimann, Mediensprecherin am Gurtenfestival, wirkt beim Stichwort «Macklemore» gereizt: «Es gibt keinen Grund, diese Diskussion, zu der alles gesagt ist, eine Woche vor dem Festival wieder aufzunehmen», lässt sie schriftlich verlautbaren. «Wer das versucht, handelt offensichtlich mit dem einzigen Ziel, zu provozieren und Menschen zu spalten.» Anfang Woche hatte tachles bei der Gurtenfestival AG angefragt, ob für den Auftritt des US-Rappers am 16. Juli proaktiv zusätzliche Sicherheitsmassnahmen getroffen worden seien, als Konsequenz auf die propalästinensischen Eskalationen in den letzten Wochen an verschiedenen Festivals in den USA und Grossbritannien sowie am ESC in Basel.
Mit «dieser Diskussion» bezieht sich die Sprecherin des Festivals jedoch nicht auf die Eskalationen an anderen Events, sondern auf die Kritik der letzten Monate am Gurten-Auftritt Macklemores. Gemäss Verlautbarung sieht sich die Gurtenfestival AG «seit einiger Zeit Druck- und Nötigungsversuchen ausgesetzt, was die Engagements verschiedener Künstlerinnen und Künstler angeht, die entweder aus Israel stammen oder sich kritisch zur israelischen Politik äussern».
Song als antisemitisch identifiziert
Was war geschehen? Als Anfang April der Auftritt von Macklemore auf dem Gurten bekannt gegeben wurde, sorgte dies für Aufsehen. Sein geplanter Auftritt in Norddeutschland, ebenfalls Mitte Juli, hatte bereits zuvor Diskussionen wegen umstrittener, antisemitisch bzw. antiisraelisch aufgeladener Songs ausgelöst. Im April griffen nun auch in der Schweiz verschiedene Medien das Thema auf. Auf die Vorwürfe von Antisemitismus, beispielsweise seitens der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus, erwiderte die Hauptsponsorin Migros jeweils nur schriftlich mit einem Standardbrief: Es gelte die künstlerische Freiheit; gemäss IHRA-Normen äussere sich der Künstler nicht antisemitisch.
Eine Gruppe von 40 Erstunterzeichnenden, darunter die Schreibende, nahm diese Äusserung der Migros zum Anlass, Macklemores IHRA-Kompatibilität zu überprüfen. Sie analysierte dessen Songtext «Hind’s Hall», ein pro-palästinensischer Rap, der im Mai 2024 an den Uni-Protesten in den USA Hymnenstatus erreicht hatte. In einem offenen Brief am 15. April an die Hauptsponsorin Migros Genossenschaftsbund sowie die Veranstalterin Gurtenfestival AG legte die Gruppe zahlreiche Stellen offen, welche bei der Kritik an Israel die Grenze zu Antisemitismus und Judenhass überschreiten: Die «3 Ds», Doppelstandard, Delegitimierung, Dämonisierung, seien vielerorts in diesem Songtext erkennbar. Kritisiert wird Macklemore auch, mit Appellen zum «Widerstand» nicht nur den Hamas-Terror, sondern auch den Überfall auf das Supernova-Festival zu verherrlichen, ein friedliches Festival wie auf dem Gurten.
Im offenen Brief «Keine Hetze auf dem Güsche», der tachles vorliegt, erinnerten die 40 Unterzeichnenden an die Verantwortung, welche die Veranstalter und Sponsoren tragen. Neben der Ausladung des Künstlers nannten sie explizit auch die Option, Macklemores Auftritt «an Bedingungen zu knüpfen», also zum Beispiel keine Palästina-Songs zu performen.
Zu den 40 Personen zählten unter anderem Vertreterinnen von CJA, NAIN und GSI, Politikerinnen aus FDP, GLP, EVP, SP und SVP, Kulturschaffende und Privatpersonen. 235 Online-Unterschriften kamen in den ein, zwei Wochen darauf hinzu. Als wenige Tage später Personen aus dem Umfeld des Onlineportals Baba News eine Gegenoffensive zugunsten von Macklemores Auftritt starteten, fassten sie diese breite Palette an Organisationen und Parteien in ihrem offenen Brief als «Israel-Lobby» zusammen.
Migros zieht sich aus der Verantwortung
Auf die Eingabe dieser Kritik am 15. April folgte bis Anfang Mai ein Mailwechsel der Erstunterzeichnenden mit Migros und Gurten, der tachles vorliegt und den Brönnimann zu den «Druck- und Nötigungsversuchen» zählt.
Die Migros Genossenschaft überliess bereits nach zwei Tagen das Feld den Festivalorganisatoren, obschon auch das von ihr gesponserte Paléo-Festival in Nyon den umstrittenen Künstler im Juli auftreten lässt. Dazu Andrea Krapf, Leiterin Dep. HRM und Engagement Migros-Gruppe: «Unsere Rolle konzentriert sich auf die Förderung des Festivals in seiner Gesamtheit – nicht auf die Auswahl einzelner Acts. In Bezug auf den Auftritt von Macklemore verweisen wir daher an die Direktion des Gurtenfestivals.»
Vom Berner Hausberg kommt keine Antwort. In einem nachhakenden Mail am 2. Mai verweisen die Unterzeichnenden auf die Eskalation am kalifornischen Coachella-Festival kurz zuvor, wo das Konzert des irischen Hip-Hop-Trios Kneecap – eine Anspielung auf die Terrororganisation IRA – mit einer riesigen «Fuck Israel»-Leuchtschrift aus dem Ruder gelaufen war.
«Festival-Verantwortliche haben bei den Vorbereitungen zu solchen Aktionen der Judenhetze die Wahl», heisst es im Mail an Migros und Gurtenfestival vom 2. Mai weiter. «Sie können wegschauen und alles geschehen lassen. Oder Sie können hinschauen und solches verhindern.» Sollten die einen «Free Palestine»-Parolen rufen und Palästina-Fahnen schwenken können, werde für andere der Gurten zum «No place to go», wie dies in Bern bereits an einigen Kulturorten der Fall sei.
«Keine Gefahr» oder «No-Go» für Juden?
Auf dieses Mail reagiert die Veranstalterin: Mediensprecherin Nadine Brönnimann versichert im Mail vom 5. Mai, man sehe am Gurtenfestival 2025 «keine Gefahr der Diskriminierung oder der Sicherheit aufgrund eines irgendwie gearteten demografischen, religiösen, geschlechtlichen oder weltanschaulichen Persönlichkeitsmerkmals». Gleichzeitig würde «scharf» zwischen Diskriminierungs- und Meinungs- bzw. Kunstfreiheit unterschieden. Wiederholte Hinweise auf die nachgewiesenen Grenzüberschreitungen durch Dämonisierungen und Delegitimierungen sowie Appelle, «mit ein wenig Mut» Grenzen zu setzen, bleiben unbeantwortet.
Nun, in der Woche vor Festivalbeginn, acht Wochen nach den Ausschreitungen in Basel am ESC und zwei Wochen nach den Gewaltparolen des Rappers Bob Vylan am Glastonbury Festival in England, wiederholen die Verantwortlichen: «Als Kulturveranstalterin halten wir an der Kunst- und Meinungsäusserungsfreiheit fest, im Rahmen dessen, was in der schweizerischen Rechtsordnung erlaubt ist.»
Keine erhöhten Sicherheitsvorkehrungen
Auf die von tachles gestellte Frage, ob die Sicherheitsmassnahmen am Gurten aufgrund der Eskalationen im Ausland und am ESC in den letzten Tagen und Wochen noch erhöht worden seien, kam bis Redaktionsschluss keine Antwort von der Festivalleitung. Ein Sprecher der Kantonspolizei verweist auf Anfrage auf das Sicherheitskonzept, das Veranstalter jeweils den Bewilligungsgesuchen beilegen. Da die Bewilligung für das Gurtenfestival jedoch schon länger vorliegt, beruht sie noch auf einem Sicherheitsdispositiv vor den erwähnten Eskalationen.
Bei der Begrenzung der Meinungsäusserungsfreiheit von Medienschaffenden haben die Veranstalterinnen übrigens weniger Hemmungen als bei den Künstlerinnen und Künstlern: Jüdische Medien wie tachles erhalten keine Akkreditierung, angeblich wegen verspäteter Anmeldung. Gegenüber «antisemitismuskritischen» Medien scheinen sich die Befürchtungen der Briefschreiber zu bestätigen: Der auf Inklusion bedachte Gurten wird zum «No place to go», jedoch nicht wegen bedrohlicher Situationen, sondern wegen Exklusion.